Rufbereitschaft Erreichbarkeit – genau darum geht es in einem aktuellen Fall aus dem Gesundheitswesen. Eine Pflegekraft wohnt in einem abgelegenen Dorf ohne Mobilfunkempfang. Der Arbeitgeber verlangt, dass sie während der Rufbereitschaft alle 30 Minuten im Krankenhaus anruft. Ist das rechtens? Die Meinungen gehen auseinander – wir klären auf.

Rufbereitschaft im Funkloch: Was ist passiert?
Die Diskussion begann mit einer konkreten Situation, wie sie im Pflegebereich gar nicht so selten ist. Eine Mitarbeiterin in einem Krankenhaus soll an einem freien Tag von 19:30 Uhr bis 6:00 Uhr Rufbereitschaft leisten. Der Haken: Sie lebt seit Kurzem in einem ländlichen Gebiet ohne Mobilfunknetz. Einen Festnetzanschluss hat sie nicht, und auch das Internet scheint nicht verfügbar zu sein. Die Klinikleitung forderte sie dennoch dazu auf, im Zeitraum von 19:00 Uhr bis 22:00 Uhr alle 30 Minuten selbst in der Klinik anzurufen – sonst könne sie ihrer Pflicht zur Erreichbarkeit nicht nachkommen. Der Empfangsort liegt rund zehn Gehminuten entfernt im Wald. Die Frage lautete also: Muss sie das wirklich machen?
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Zentrale Grundlage ist, wie so oft, der Arbeitsvertrag. Wenn dort Rufbereitschaft ausdrücklich vereinbart wurde, gilt: Die Arbeitnehmerin ist grundsätzlich verpflichtet, erreichbar zu sein. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie jedes Mittel in Kauf nehmen muss – hier wird’s juristisch spannend.
Erreichbarkeit ist Pflicht – aber nicht um jeden Preis
Laut § 106 Gewerbeordnung (GewO) hat der Arbeitgeber ein Weisungsrecht. Dieses umfasst auch Ort und Zeit der Arbeitsleistung – sofern keine gesetzlichen Vorschriften oder Tarifverträge verletzt werden. Rufbereitschaft gilt im Gegensatz zum Bereitschaftsdienst als Freizeit, in der Arbeitnehmer jederzeit erreichbar sein müssen, aber nur im Bedarfsfall arbeiten.
Nach Auffassung vieler Juristen – etwa gestützt auf das Urteil des BAG vom 25.01.2022, Az. 9 AZR 130/21 – ist es dem Arbeitnehmer zuzumuten, die technische Erreichbarkeit während der Rufbereitschaft sicherzustellen. Das kann im Zweifel auch bedeuten, einen geeigneten Standort mit Netzabdeckung aufzusuchen oder technische Alternativen zu prüfen. Doch was, wenn der Aufwand zu groß wird?
Grenzen durch § 275 BGB – Unzumutbarkeit
Hier kommt § 275 Abs. 2 BGB ins Spiel. Die Vorschrift erlaubt es dem Schuldner – also hier der Arbeitnehmerin –, die Leistung zu verweigern, wenn sie in einem „groben Missverhältnis zum Leistungsinteresse des Gläubigers“ steht. 30-minütige Kontrollanrufe, die körperliche Anstrengung und Nachtwege durch den Wald erfordern, könnten darunterfallen – zumindest, wenn keine einfachere Lösung möglich ist.
Der Umstand, dass die Pflegekraft freiwillig in ein „Funkloch“ gezogen ist, spielt allerdings gegen sie. Viele Beiträge im Forum betonen: Wer durch einen Umzug seine Erreichbarkeit selbst einschränkt, muss auch die Folgen tragen – es sei denn, der Arbeitgeber hätte dem Wohnort zuvor ausdrücklich zugestimmt.
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Ein anderer Diskussionspunkt war die Frage, ob der Arbeitgeber die nötige Technik – etwa ein Diensthandy oder ein Satellitentelefon – bereitstellen muss. Dazu gibt es bislang keine einheitliche Rechtsprechung. Zwar hat das LAG Thüringen am 16.05.2018 (Az. 6 Sa 442/17) entschieden, dass der Arbeitgeber unter Umständen die private Handynummer des Arbeitnehmers verlangen darf. Aber das setzt voraus, dass eine praktikable Lösung zur Kontaktaufnahme existiert.
In der Praxis bedeutet das: Der Arbeitgeber darf eine angemessene Erreichbarkeit erwarten, nicht aber extreme Maßnahmen fordern. Eine 30-minütige Verpflichtung zur aktiven Kontaktaufnahme – also der „umgekehrte Notruf“ – dürfte weder praxisnah noch rechtlich durchsetzbar sein.
Technikalternativen: Festnetz, WLAN, andere Netze?
Theoretisch könnte ein Festnetzanschluss Abhilfe schaffen. Auch ein WLAN-basiertes Telefonat (VoIP) oder ein Mobilfunkvertrag bei einem anderen Anbieter mit besserem Empfang vor Ort wäre denkbar. Doch die Anschaffung dieser Mittel liegt nicht zwingend in der Verantwortung des Arbeitgebers, sondern muss – bei bestehender Rufbereitschaftsverpflichtung – vom Arbeitnehmer zumindest geprüft werden.
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Nicht alles muss juristisch enden. Auch im Pflegebereich ist Kommunikation oft der bessere Weg. Wenn also die technische Infrastruktur schlicht nicht vorhanden ist, sollte man das offen ansprechen – idealerweise schriftlich und mit einem Gegenvorschlag.
Anpassung der Rufbereitschaftsregelung
Eine Möglichkeit wäre, dass die Pflegekraft nur dann zur Rufbereitschaft eingeteilt wird, wenn sie sich an einem Ort mit Empfang befindet – etwa durch freiwillige Tauschdienste mit Kollegen. Alternativ kann geprüft werden, ob die Rufbereitschaft auf andere Weise organisiert wird, zum Beispiel durch Bereitschaftszimmer oder Präsenzzeiten in Kliniknähe.
Letzter Ausweg: Rechtliche Klärung
Wenn sich keine Einigung finden lässt, bleibt in letzter Instanz die arbeitsrechtliche Prüfung durch Betriebsrat oder Arbeitsgericht. Dabei kommt es stark auf die Formulierungen im Arbeitsvertrag, eventuelle Tarifverträge und die konkreten Umstände an.
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Rufbereitschaft ist ein fester Bestandteil vieler Pflegeberufe – und mit Verantwortung verbunden. Wer diesen Dienst übernimmt, muss grundsätzlich erreichbar sein. Aber: Die Erreichbarkeit darf nicht ins Absurde kippen. Ein zehnminütiger Nachtspaziergang alle 30 Minuten ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zumutbar – zumindest nicht ohne vorherige Prüfung aller Alternativen. Wer betroffen ist, sollte das Gespräch suchen, Alternativen prüfen und sich im Zweifel rechtlich beraten lassen.
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