Leidensgerechter Arbeitsplatz – klingt nach Sicherheit, doch was passiert, wenn er plötzlich wegfällt? Genau diese Frage stellt sich, wenn ein behindertengerechter Einsatz über Jahre besteht und dann durch unternehmerische Entscheidungen endet. In diesem Beitrag erklären wir, welche Rechte Beschäftigte wirklich haben, wenn der leidensgerechte Arbeitsplatz wegfällt – und was der Arbeitgeber gesetzlich schuldet.
Wegfall des Arbeitsplatzes trotz Schwerbehinderung
Wenn ein leidensgerechter Arbeitsplatz nach mehreren Jahren einfach gestrichen wird, löst das nicht nur Verunsicherung, sondern auch rechtliche Fragen aus. Besonders relevant wird das Thema, wenn der oder die Betroffene einen anerkannten Grad der Behinderung (GdB) – wie hier 70 – hat. In solchen Fällen greifen spezielle Schutzrechte nach dem Sozialgesetzbuch.
Keine Information über Befristung
Der Arbeitsplatz wurde anscheinend über einen externen Dienstleister finanziert, aber dem Arbeitnehmer wurde nie gesagt, dass diese Finanzierung befristet ist. Genau das ist ein Problem: Ohne transparente Kommunikation konnte keine eigene Entscheidung für alternative Bewerbungen getroffen werden. Laut § 241 Abs. 2 BGB hat der Arbeitgeber eine Rücksichtnahmepflicht – dazu gehört auch, über mögliche Änderungen frühzeitig zu informieren.
Rückversetzung in gesundheitlich ungeeignete Position
Wenn nun die Rückkehr in den alten Elektriker-Job vorgesehen ist, stellt sich die Frage: Ist das rechtlich überhaupt haltbar? Laut § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, schwerbehinderten Menschen einen ihren Fähigkeiten und ihrer gesundheitlichen Situation entsprechenden Arbeitsplatz bereitzustellen – sofern dies möglich und zumutbar ist. Die Nachtschichtproblematik war ursprünglich ein Hauptgrund für die Umverteilung – und die gesundheitlichen Einschränkungen bestehen weiterhin. Eine Rückkehr in die Nachtschicht wäre also klar unzumutbar.
Anrechnung von Überstunden bei früherem Feierabend 👆Anspruch auf leidensgerechte Fortbeschäftigung
Auch wenn ein konkreter Arbeitsplatz entfällt, bleibt der Anspruch auf eine leidensgerechte Beschäftigung bestehen – nicht automatisch auf denselben Job, aber auf eine gleichwertige, geeignete Tätigkeit.
Pflicht zur Prüfung von Alternativen
Nach § 164 Abs. 1 SGB IX müssen Arbeitgeber aktiv prüfen, ob andere geeignete Einsatzmöglichkeiten im Unternehmen bestehen. Gerade in größeren Betrieben mit mehreren Abteilungen ist es unwahrscheinlich, dass überhaupt keine alternative Position mehr vorhanden ist. Hier sind Schwerbehindertenvertretung und ggf. das Integrationsamt wichtige Ansprechpartner, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt
Bevor überhaupt eine Rückversetzung oder Beendigung der bisherigen Tätigkeit erfolgt, müssen die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt zwingend beteiligt werden (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Geschieht das nicht, ist die Maßnahme rechtlich angreifbar. Auch wenn der Arbeitsplatz durch Dritte finanziert war, entbindet das den Arbeitgeber nicht von seinen Pflichten.
Minijob im Krankengeldbezug: Erlaubt oder gefährlich? 👆Kein kollektivrechtlicher Anspruch – aber individuelle Rechte
Ein leidensgerechter Arbeitsplatz wird nicht automatisch zur „betrieblichen Übung“, wenn nur eine einzelne Person betroffen ist. Das bestätigen auch Arbeitsrechtsexperten: Betriebliche Übung setzt regelmäßig wiederholte Leistungen gegenüber einer Vielzahl von Beschäftigten voraus. Im individuellen Arbeitsverhältnis kann jedoch durch Zeitdauer und Kontinuität eine vertragliche Nebenabrede entstehen – zumindest faktisch.
Arbeitsvertragliche Auslegung nach drei Jahren
Wenn eine Umverteilung über drei Jahre hinweg gelebt wurde und keine Befristung vertraglich geregelt war, kann diese neue Tätigkeit als Vertragsinhalt angesehen werden – zumindest im Rahmen des billigen Ermessens gemäß § 106 GewO. Das bedeutet: Der Arbeitgeber kann zwar grundsätzlich das Weisungsrecht nutzen, muss aber Rücksicht auf die konkrete gesundheitliche Situation und den bisherigen Ablauf nehmen.
Klare Trennung zwischen unternehmerischer Entscheidung und Fürsorgepflicht
Es ist legitim, dass ein Unternehmen einen externen Vertrag beendet – aber nicht, daraus resultierend eine gesundheitlich schädliche Maßnahme für den Beschäftigten abzuleiten. Arbeitgeber tragen das sogenannte „Betriebsrisiko“, nicht der einzelne Beschäftigte mit Behinderung.
Streit mit Arbeitgeber nach Eigenkündigung: Was jetzt zählt 👆Fazit
Ein leidensgerechter Arbeitsplatz bietet für viele Beschäftigte mit gesundheitlichen Einschränkungen nicht nur Stabilität, sondern oft auch die einzige Möglichkeit, weiterhin beruflich aktiv zu bleiben. Umso dramatischer wirkt es, wenn dieser nach Jahren plötzlich wegfällt. Doch genau in solchen Situationen greift das deutsche Arbeitsrecht – und zwar mit klaren Schutzmechanismen, besonders für Menschen mit einem hohen Grad der Behinderung. Wer also eine Rückversetzung oder Verschlechterung befürchtet, sollte nicht zögern: Das Gespräch mit dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung und dem Integrationsamt kann entscheidend sein. Denn der Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz besteht weiter – nicht auf eine bestimmte Stelle, aber auf eine passende, zumutbare Beschäftigung.
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Muss mein Arbeitgeber mich über die Befristung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes informieren?
Ja, zumindest dann, wenn durch unterlassene Information ein Nachteil entsteht – etwa, weil dadurch Bewerbungen auf andere Stellen versäumt werden. Eine rechtzeitige Information gehört zur Fürsorgepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB).
Habe ich auch ohne konkreten Arbeitsplatz einen Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung?
Unbedingt! Der Anspruch ergibt sich aus § 164 Abs. 4 SGB IX. Wenn der ursprüngliche leidensgerechte Arbeitsplatz entfällt, muss geprüft werden, ob es andere zumutbare Positionen im Betrieb gibt.
Kann ich mich gegen die Rückversetzung in meinen alten Job wehren?
Wenn der alte Job Ihre Gesundheit gefährdet – etwa durch Nachtschicht – ja. Dann ist eine Rückversetzung unzumutbar, und der Arbeitgeber muss eine Alternative finden. Hier sollten Sie sofort die Schwerbehindertenvertretung einschalten.
Was passiert, wenn das Integrationsamt nicht beteiligt wurde?
Dann ist jede Rückversetzung oder Änderung Ihrer Beschäftigung formell angreifbar. Die Beteiligung des Integrationsamts ist gesetzlich vorgeschrieben (§ 178 Abs. 2 SGB IX) und kann im Streitfall entscheidend sein.
Wird ein leidensgerechter Arbeitsplatz nach drei Jahren automatisch zum Vertragsbestandteil?
Nicht automatisch – aber sehr wohl faktisch. Wenn die neue Tätigkeit dauerhaft und ohne Widerspruch gelebt wurde, kann das im Rahmen des Direktionsrechts als vertraglich akzeptiert gelten. Hier kommt es aber auf den Einzelfall an. Ein Blick in den Arbeitsvertrag lohnt sich!
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