Kündigung nach langer Krankheit – allein diese Formulierung löst bei vielen Beschäftigten große Unsicherheit aus. Nach Monaten gesundheitlicher Probleme folgt plötzlich das Kündigungsschreiben per Post, ohne Begründung, ohne Vorwarnung. Doch ist das so einfach möglich? Und welche Chancen haben Betroffene auf eine Abfindung oder sogar Weiterbeschäftigung?
Rechtliche Grundlagen der Kündigung
Kündigungen wegen Krankheit sind im deutschen Arbeitsrecht grundsätzlich möglich, aber keineswegs unkompliziert.
Kündigungsschutzgesetz beachten
Zunächst ist entscheidend, ob das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) überhaupt greift. Dafür muss der Betrieb mehr als zehn Vollzeitkräfte beschäftigen und das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden haben. Im geschilderten Fall war der Arbeitgeber ein großes Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten – das KSchG gilt also.
Drei-Stufen-Prüfung bei krankheitsbedingter Kündigung
Laut ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG, Urteil vom 10.12.2009 – 2 AZR 400/08) müssen drei Bedingungen erfüllt sein:
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Eine negative Gesundheitsprognose, also die Annahme, dass keine baldige Genesung zu erwarten ist.
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Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers durch die Fehlzeiten.
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Eine Interessenabwägung, die zugunsten des Arbeitgebers ausfällt.
Wird nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt, ist die Kündigung rechtswidrig.
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Wer eine Kündigung nach langer Krankheit erhalten hat, sollte nicht tatenlos bleiben.
Drei-Wochen-Frist strikt einhalten
Gemäß § 4 KSchG muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht eingereicht werden. Wird diese Frist versäumt, gilt die Kündigung als wirksam – selbst wenn sie eigentlich rechtswidrig war.
Mögliche Reaktionen des Arbeitgebers
Im Rahmen des Gerichtsverfahrens kann der Arbeitgeber seine Kündigung nachträglich begründen oder neue Gründe nachschieben. Das ist zulässig, solange diese Gründe vor Zugang der Kündigung bestanden. Der Arbeitgeber kann sich dabei auf medizinische Gutachten oder eine langfristige Prognose stützen.
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Viele Betroffene hoffen nach einer Kündigung auf eine Abfindung – doch wie realistisch ist das wirklich?
Kein Anspruch ohne Vereinbarung
Nach deutschem Recht besteht kein genereller Anspruch auf Abfindung. Es sei denn, der Arbeitgeber bietet sie freiwillig im Rahmen eines Vergleichs an oder es wurde im Arbeitsvertrag bzw. Sozialplan etwas vereinbart (§ 1a KSchG).
Vergleich im Gütetermin möglich
In der Praxis wird vor dem Arbeitsgericht häufig ein Vergleich geschlossen. Arbeitgeber bieten dabei oftmals eine Abfindung an, um ein langwieriges Verfahren zu vermeiden. Die Höhe variiert, häufig liegt sie bei etwa 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr – bei vier Jahren Betriebszugehörigkeit wären das ca. zwei Monatsgehälter.
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Bei einer so langen Krankheitsphase ist auch die finanzielle Absicherung ein zentrales Thema.
Krankengeldanspruch prüfen
Ab der siebten Krankheitswoche zahlt nicht mehr der Arbeitgeber, sondern die gesetzliche Krankenkasse Krankengeld. Dieser Anspruch bleibt auch nach der Kündigung bestehen, solange die Arbeitsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest fortbesteht. Voraussetzung ist, dass man vor Beginn der Krankschreibung pflichtversichert war (§ 44 SGB V).
Aussteuerung durch Krankenkasse
Nach 78 Wochen Krankengeld droht die sogenannte „Aussteuerung“. Ab dann müssen Betroffene prüfen, ob sie Anspruch auf Arbeitslosengeld I (nach § 145 SGB III) oder auf Erwerbsminderungsrente haben. Das sollte frühzeitig mit der Agentur für Arbeit bzw. dem Rentenversicherungsträger besprochen werden.
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Eine Kündigung ist nicht nur juristisch, sondern auch emotional belastend – besonders nach langer Krankheit.
Gespräche mit dem Arbeitgeber suchen
Nicht jede Kündigung muss vor Gericht enden. In manchen Fällen lohnt es sich, direkt das Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen – etwa, um über eine Weiterbeschäftigung, Umschulung oder eine einvernehmliche Aufhebung mit Abfindung zu verhandeln.
Medizinische Prognose einholen
Wer die Kündigung anfechten will, braucht eine realistische Einschätzung seiner gesundheitlichen Situation. Ein aktuelles Gutachten vom behandelnden Arzt kann helfen, eine positive Zukunftsprognose zu belegen – das ist ein zentrales Element im Kündigungsschutzprozess.
Rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen
Spätestens nach Zugang der Kündigung sollten sich Betroffene juristisch beraten lassen. Ob durch Fachanwälte für Arbeitsrecht oder durch eine Gewerkschaft – professionelle Unterstützung erhöht die Chancen erheblich, gegen eine ungerechtfertigte Kündigung erfolgreich vorzugehen.
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Manche Arbeitnehmer genießen zusätzlichen Schutz, der bei einer Kündigung zu beachten ist.
Schwerbehinderte Personen
Ist der gekündigte Arbeitnehmer schwerbehindert oder gleichgestellt, muss vor der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt werden (§ 168 SGB IX). Eine Kündigung ohne diese Zustimmung ist unwirksam.
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei längerer Krankheit ein sogenanntes BEM-Verfahren anzubieten. Dieses soll helfen, die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen. Wird kein BEM durchgeführt, kann das die Kündigung angreifbar machen.
Arbeitszeitbetrug durch Arbeitgeber erkennen 👆Fazit
Kündigung nach langer Krankheit bedeutet nicht automatisch das Ende aller rechtlichen Möglichkeiten. Wer acht Monate oder länger krankgeschrieben war und plötzlich das Kündigungsschreiben in der Hand hält, sollte nicht vorschnell aufgeben. Das Kündigungsschutzgesetz schützt viele Arbeitnehmer in solchen Situationen – insbesondere bei großen Unternehmen mit mehr als zehn Beschäftigten. Eine Kündigung ist nur dann wirksam, wenn sie auf eine negative Gesundheitsprognose gestützt werden kann, die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt sind und eine sorgfältige Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfällt. Wichtig ist, schnell zu handeln: Innerhalb von drei Wochen muss Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden, sonst gilt die Kündigung als akzeptiert. Wer richtig reagiert, kann nicht nur eine unrechtmäßige Kündigung abwehren, sondern unter Umständen sogar eine Abfindung aushandeln. Die entscheidende Botschaft lautet also: Kündigung nach langer Krankheit ist kein Automatismus – sondern ein rechtlich prüfbarer Einzelfall.
Brückenteilzeit Anspruch Verlängerung rechtlich möglich? 👆FAQ
Habe ich nach einer Kündigung wegen Krankheit automatisch Anspruch auf eine Abfindung?
Nein, bei einer Kündigung nach langer Krankheit entsteht nicht automatisch ein Anspruch auf Abfindung. Eine solche muss individuell mit dem Arbeitgeber verhandelt oder im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vereinbart werden. Nur wenn § 1a KSchG greift oder ein Sozialplan dies vorsieht, gibt es gesetzlich garantierte Zahlungen.
Was passiert, wenn ich die Drei-Wochen-Frist für die Kündigungsschutzklage verpasse?
Dann gilt die Kündigung in aller Regel als wirksam, selbst wenn sie inhaltlich angreifbar wäre. Die Frist ist zwingend nach § 4 KSchG einzuhalten, unabhängig vom Gesundheitszustand oder anderen Umständen. Daher sollten Betroffene möglichst rasch rechtlichen Rat einholen.
Muss mein Arbeitgeber im Kündigungsschreiben einen Grund nennen?
Nein, bei einer ordentlichen Kündigung außerhalb besonderer Schutzrechte (z. B. Mutterschutz) besteht keine Pflicht zur Angabe eines Kündigungsgrundes. Im Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber jedoch später einen rechtlich tragfähigen Grund darlegen und beweisen, insbesondere bei einer Kündigung wegen Krankheit.
Welche Rolle spielt das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)?
Ein nicht durchgeführtes BEM ist kein automatischer Kündigungsschutz, kann aber ein Indiz dafür sein, dass der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht verletzt hat. Gerichte sehen das in der Interessenabwägung oft kritisch, insbesondere bei Kündigung nach langer Krankheit.
Kann ich auch während des Krankengeldbezugs arbeitslos gemeldet sein?
Ja, das ist sogar sinnvoll, wenn das Krankengeld ausläuft oder eine Aussteuerung droht. Die Agentur für Arbeit prüft dann Ansprüche auf Arbeitslosengeld I gemäß § 145 SGB III. Es sollte jedoch frühzeitig geklärt werden, ob Arbeitsfähigkeit zumindest teilweise vorliegt.
AU via Videotelefonie: Muss der Arbeitgeber das akzeptieren? 👆