Eine E-Mail von der Personalabteilung mit der Androhung, das Gehalt vorübergehend einzubehalten, weil man zu oft krank war? Viele Arbeitnehmer wären in diesem Moment erstmal sprachlos. Krankentage Lohnfortzahlung verweigert – das ist ein Satz, der Unsicherheit und Unmut auslöst. Doch was darf der Arbeitgeber eigentlich verlangen, und wie sollte man reagieren?
Gesetzliche Grundlage der Lohnfortzahlung
Laut § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) haben Arbeitnehmer einen Anspruch auf Lohnfortzahlung für maximal sechs Wochen, wenn sie unverschuldet arbeitsunfähig sind. Doch was passiert, wenn jemand häufiger krank wird – mit unterschiedlichen Krankheiten?
Bedeutung der „Einheit des Verhinderungsfalls“
Ein zentraler Begriff in diesem Zusammenhang ist die sogenannte „Einheit des Verhinderungsfalls“. Dieser Grundsatz besagt, dass bei aufeinanderfolgenden Krankheitszeiten, die auf dieselbe Ursache zurückzuführen sind, die sechs Wochen nur einmal zählen. Kommt es also zu einer Folgeerkrankung, kann der Anspruch auf Lohnfortzahlung verfallen – auch wenn man formal gesehen „wieder krank“ ist.
Was bedeutet das konkret?
Wenn Sie z. B. im Januar wegen einer Grippe krank waren und im Februar mit ähnlichen Symptomen erneut fehlen, könnte der Arbeitgeber vermuten, dass es sich um dieselbe Krankheit handelt. In solchen Fällen darf er die Lohnfortzahlung nach sechs Wochen verweigern – es sei denn, Sie können nachweisen, dass es sich um verschiedene Erkrankungen handelt.
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Und hier wird es kritisch. Die betroffene Arbeitnehmerin im Beispiel hat 47 Fehltage in sechs Monaten – nicht alle mit Attest, aber auch keine Verpflichtung, ab dem ersten Tag eine AU-Bescheinigung vorzulegen. Nun verlangt der Arbeitgeber eine schriftliche Auflistung der Krankheitsgründe. Ist das erlaubt?
Schweigepflicht und Auskunftspflicht
Grundsätzlich unterliegt der Arbeitnehmer nicht der Pflicht, medizinische Diagnosen gegenüber dem Arbeitgeber offen zu legen. Ärztliche Schweigepflicht gilt – und zwar auch indirekt. Der Arbeitgeber darf nicht verlangen, dass Sie z. B. konkrete Krankheitsbilder benennen oder Diagnosen erläutern.
Aber: Gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, u. a. Urteil vom 11.12.2003 – 6 AZR 533/02) kann es im Ausnahmefall doch erforderlich sein, dass der Arbeitnehmer darlegt, dass es sich um unterschiedliche Erkrankungen handelt – insbesondere dann, wenn der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigern will.
Ärztliche Bescheinigungen als Nachweis
In solchen Fällen kann es helfen, wenn der behandelnde Arzt in einer gesonderten Bescheinigung bestätigt, dass es sich um verschiedene Krankheitsbilder handelt – ohne die genaue Diagnose zu nennen. Ein Hinweis wie „nicht dieselbe Erkrankung wie beim letzten Ausfall“ reicht oft aus. Eine pauschale Verweigerung der Auskunft kann dagegen zur Zahlungseinstellung führen.
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Im geschilderten Fall war die Arbeitnehmerin teils ohne Krankenschein („koK“) abwesend – und zwar auf Grundlage der betrieblichen Regelung, wonach ein Attest erst ab dem 4. Krankheitstag verlangt wird. Nun fragt sich: Zählen diese Tage für die 6-Wochen-Grenze mit?
Arbeitsunfähigkeit auch ohne Attest
Ja, denn rechtlich gilt: Auch ohne Attest kann eine Arbeitsunfähigkeit vorliegen. Der Arbeitgeber hat in solchen Fällen nur eingeschränkte Beweismittel – muss aber nicht automatisch zahlen, wenn er Zweifel anmeldet. Wichtig ist hier die vertragliche Regelung: Steht im Vertrag, dass eine AU-Bescheinigung ab dem 4. Tag reicht, muss der Arbeitgeber sich auch daran halten.
Aber: Wenn er meint, dass Missbrauch vorliegt oder die Zahl der Krankentage ungewöhnlich hoch ist, kann er zukünftig auch schon ab dem 1. Tag ein Attest verlangen (§ 5 Abs. 1 S. 3 EFZG). Rückwirkend gilt das aber nicht.
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Angesichts der rechtlich schwierigen Lage stellt sich die Frage: Wie soll man reagieren? Die Verfasserin des Posts tendiert dazu, gar nicht zu antworten. Doch ist das klug?
Keine Reaktion – ein Risiko?
Nicht zu antworten kann kurzfristig befreiend wirken, führt aber dazu, dass der Arbeitgeber möglicherweise das Gehalt tatsächlich einbehält. Dann müsste man vor dem Arbeitsgericht klagen – was Zeit, Nerven und eventuell auch Geld kostet. Ein klärender Brief könnte die Situation entschärfen.
Formulierungsvorschlag für die Antwort
Ein möglicher Ansatz wäre:
„Ich bestätige hiermit den Eingang Ihres Schreibens. Ich war in den letzten Monaten aufgrund verschiedener, voneinander unabhängiger Erkrankungen arbeitsunfähig. Aus ärztlicher Sicht handelt es sich jeweils nicht um Fortsetzungen einer Vorerkrankung. Aus Gründen der ärztlichen Schweigepflicht bitte ich um Verständnis, dass ich keine weiteren Details zu den Diagnosen geben kann. Gern lasse ich Ihnen bei Bedarf eine ärztliche Bescheinigung über die Unabhängigkeit der Erkrankungen zukommen.“
Damit signalisiert man Kooperationsbereitschaft – ohne seine Privatsphäre unnötig zu verletzen.
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Natürlich besteht keine Pflicht, sich zu äußern. Doch was passiert, wenn man einfach gar nichts sagt?
Lohnklage als letztes Mittel
Dann kann der Arbeitgeber, gestützt auf § 7 EFZG (Ausschlussfrist), die Zahlung verweigern, solange der Anspruch nicht eindeutig nachgewiesen ist. Als Arbeitnehmer müsste man in dem Fall aktiv werden und Lohnklage erheben. Das Arbeitsgericht würde dann prüfen, ob ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht – was wiederum bedeuten kann, dass man die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden muss.
Fazit zum Schweigen
Wer also wirklich Gehalt bekommen möchte, sollte sich auf ein Mindestmaß an Kommunikation einlassen – sonst riskiert man nicht nur finanzielle Einbußen, sondern auch rechtlich unangenehme Verfahren.
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Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang häufig mitschwingt: die Angst vor einer krankheitsbedingten Kündigung. Zwar wurde im vorliegenden Fall bereits selbst gekündigt, doch das Thema bleibt relevant.
Wann droht eine Kündigung?
Eine krankheitsbedingte Kündigung ist grundsätzlich möglich, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen – insbesondere bei sogenannter negativer Gesundheitsprognose und einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (§ 1 Abs. 2 KSchG). In der Praxis kommt das aber nur bei wirklich extrem häufigen oder langen Ausfällen vor.
Kündigungsschutz und Beratung
Wer regelmäßig krank ist und Sorge vor einer Kündigung hat, sollte frühzeitig rechtlichen Rat einholen. Gerade bei tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen oder Schwerbehindertenstatus gelten besondere Schutzvorschriften (§ 168 SGB IX, § 15 KSchG).
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Wenn der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung wegen zu vieler Krankentage verweigert, ist Vorsicht geboten – aber auch Gelassenheit. Allein die Anzahl der Fehltage rechtfertigt noch keine Gehaltskürzung. Entscheidend ist, ob eine „Einheit des Verhinderungsfalls“ vorliegt, also dieselbe Erkrankung immer wiederkehrt. Wer glaubhaft machen kann, dass verschiedene Krankheiten vorlagen, hat weiterhin Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Wer auf das Schreiben des Arbeitgebers nicht reagiert, riskiert im schlimmsten Fall die Einbehaltung des Gehalts und einen aufwendigen Rechtsstreit. Deshalb ist es oft klüger, eine knappe und sachliche Stellungnahme abzugeben – ohne sensible Gesundheitsdaten preiszugeben. Wichtig ist: Die rechtliche Grundlage für die Lohnfortzahlung ist klar geregelt. Und wer sie kennt, hat auch dann gute Karten, wenn viele Krankentage zusammenkommen.
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Was kann ich tun, wenn mein Arbeitgeber wegen vieler Krankentage mein Gehalt einbehält?
Zunächst sollten Sie prüfen, ob der Arbeitgeber formell dazu berechtigt ist. Die Lohnfortzahlung steht Ihnen laut § 3 EFZG zu, wenn verschiedene Krankheiten vorliegen. Wenn der Arbeitgeber Zweifel äußert, können Sie eine ärztliche Bescheinigung vorlegen, die die Unabhängigkeit der Erkrankungen bestätigt – ohne Diagnosen preiszugeben.
Muss ich dem Arbeitgeber mitteilen, woran ich krank war?
Nein, grundsätzlich nicht. Diagnosen unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht. Aber wenn der Arbeitgeber wegen Krankentagen Lohnfortzahlung verweigert, müssen Sie unter Umständen nachweisen, dass es sich um unterschiedliche Krankheiten handelte. Das kann durch eine allgemeine Bestätigung vom Arzt erfolgen.
Kann der Arbeitgeber einfach rückwirkend Atteste verlangen?
Nicht ohne Weiteres. Wenn laut Arbeitsvertrag ein Attest erst ab dem 4. Tag erforderlich ist, gilt das auch bei vielen Fehlzeiten – allerdings kann der Arbeitgeber zukünftig verlangen, dass Sie bereits ab dem 1. Tag eine AU vorlegen (§ 5 Abs. 1 S. 3 EFZG). Rückwirkend ist das nicht zulässig.
Was bedeutet „Einheit des Verhinderungsfalls“ und warum ist das wichtig?
Dieser Begriff beschreibt den Fall, dass mehrere Krankheitsphasen auf dieselbe Ursache zurückgehen. In solchen Fällen haben Sie nur einmal Anspruch auf 6 Wochen Lohnfortzahlung. Nur wenn neue, unabhängige Krankheiten auftreten, beginnt die Frist von vorn. Bei vielen Krankentagen ist dieser Aspekt entscheidend für den Fortzahlungsanspruch.
Was passiert, wenn ich auf das Schreiben der Personalabteilung einfach nicht reagiere?
Dann riskieren Sie, dass der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung tatsächlich aussetzt. In diesem Fall müssten Sie Lohnklage einreichen – und dort auch medizinische Nachweise beibringen, eventuell sogar Ärzte von der Schweigepflicht entbinden. Deshalb kann es sinnvoll sein, bereits vorher schriftlich zu reagieren.
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