AU am ersten Krankheitstag – allein dieser Begriff löst bei vielen Arbeitnehmern Unmut aus. Denn krank ist krank, oder? Und dann soll man sich am ersten Tag direkt in die Arztpraxis schleppen? Die Rechtslage dazu ist klarer, als viele denken. Werfen wir gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen dieser Anordnung, die viele für übertrieben halten, rechtlich aber völlig legitim sein kann.
Arbeitsunfähigkeitsregelung im Einzelfall
Ein junger Arbeitnehmer meldet sich krank – nichts Ungewöhnliches. Doch kurz darauf erhält er ein Schreiben seines Arbeitgebers: Fortan müsse er bei jeder Krankheit bereits am ersten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vorlegen. Und das nicht nur temporär, sondern unbefristet. Der Sohn unseres Fragestellers war genau in dieser Situation. Die Verwunderung war groß: Kann ein Arbeitgeber das wirklich verlangen – dauerhaft? Gibt es keine gesetzliche Begrenzung? Diese Unsicherheit brachte viele Diskussionen ins Rollen.
Inhalt des § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz
Die Antwort auf diese Frage findet sich im deutschen Entgeltfortzahlungsgesetz (kurz: EntgFG). Genauer gesagt in § 5 Abs. 1 Satz 3. Dort steht wörtlich:
„Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit früher zu verlangen.“
Das bedeutet: Auch wenn die allgemeine Regelung erst ab dem vierten Krankheitstag eine AU vorschreibt, darf ein Arbeitgeber eine solche Bescheinigung bereits ab dem ersten Krankheitstag fordern. Und zwar ohne, dass dies einer besonderen Begründung bedarf.
Dauer der Verpflichtung zur AU
Interessant ist dabei: Das Gesetz nennt keinerlei zeitliche Begrenzung für diese Anordnung. Das bedeutet im Klartext: Ein Arbeitgeber darf diese Pflicht zur AU am ersten Krankheitstag unbefristet festlegen – sofern keine tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Absprachen entgegenstehen. Die Forderung gilt dann, bis sie vom Arbeitgeber selbst wieder aufgehoben wird.
Arbeitsunterlagen Rückgabe nach Aufhebungsvertrag 👆Rechtliche Bewertung und Abwägung
Dass die Pflicht zur AU am ersten Krankheitstag dauerhaft zulässig ist, heißt jedoch nicht, dass sie immer sinnvoll oder gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber lässt hier bewusst einen Spielraum für betriebliche Besonderheiten, Missbrauchsgefahr oder ein auffälliges Fehlzeitenmuster.
Schutz des Arbeitnehmers vs. Kontrollrecht des Arbeitgebers
Natürlich steht hinter dieser Regelung ein legitimes Interesse des Arbeitgebers. Fehlzeiten bedeuten für viele Betriebe organisatorische und wirtschaftliche Herausforderungen. Wer etwa regelmäßig montags oder freitags krank ist, fällt unter Verdacht. Arbeitgeber nutzen diese Option daher häufig zur Prävention von Blaumachen.
Auf der anderen Seite steht das Interesse der Arbeitnehmer, nicht unnötig belastet zu werden – vor allem dann, wenn sie tatsächlich krank sind. Gerade in ländlichen Regionen kann es mitunter schwierig sein, überhaupt kurzfristig einen Arzttermin zu bekommen. Das macht die Situation konfliktträchtig.
Grenzen der Maßnahme in der Praxis
Auch wenn die arbeitsrechtliche Zulässigkeit gegeben ist, sollten Arbeitgeber nicht vergessen: Eine dauerhaft starre Regelung zur AU-Pflicht kann das Betriebsklima belasten. Es empfiehlt sich daher, die Maßnahme regelmäßig zu überprüfen oder zumindest in besonders gelagerten Fällen (z. B. langjährige Mitarbeit, seltene Krankheitsfälle) Ausnahmen zuzulassen.
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Mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) im Jahr 2023 hat sich das praktische Verfahren deutlich verändert. Arbeitnehmer müssen die AU nicht mehr selbst an den Arbeitgeber weiterleiten. Stattdessen ruft der Arbeitgeber die Daten direkt bei der Krankenkasse ab – allerdings erst, nachdem der Arbeitnehmer ihn über seine Erkrankung informiert hat.
Missverständnisse bei „Vorlegen“ der AU
Häufig wird gefragt, ob die AU „am ersten Tag vorgelegt“ werden muss. Nein – das ist missverständlich. Im Zeitalter der eAU bedeutet dies lediglich: Die Arbeitsunfähigkeit muss vom Arzt ab dem ersten Krankheitstag bescheinigt sein. Eine aktive Vorlage in Papierform entfällt. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Krankschreibung, nicht die tatsächliche Übermittlung.
Probleme durch Rückdatierung
Ein weiterer Punkt: Die rückwirkende Ausstellung einer AU ist nur eingeschränkt möglich. Ärzte dürfen dies maximal für drei Tage rückwirkend tun (§ 5 Abs. 1 Satz 4 EntgFG). Ob sie es tun, liegt im Ermessen des Arztes – nicht des Patienten. Wer also am ersten Krankheitstag keine Arztpraxis aufsuchen kann, läuft Gefahr, ohne gültige AU dazustehen.
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Angesichts dieser Rechtslage sollten sich Beschäftigte klar darüber sein, welche internen Vorgaben im Unternehmen gelten. Diese lassen sich meist aus dem Arbeitsvertrag, einer Betriebsvereinbarung oder einer internen Dienstanweisung entnehmen.
Kommunikation mit dem Arbeitgeber
Wer mit der AU-Pflicht ab dem ersten Krankheitstag Schwierigkeiten hat – sei es gesundheitlich, organisatorisch oder prinzipiell – sollte frühzeitig das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen. Nicht selten lässt sich in vertrauensvollem Austausch eine individuelle Lösung finden.
Dokumentation und Nachweise
Selbst bei der eAU sollten Arbeitnehmer sicherstellen, dass die Krankmeldung korrekt beim Arzt erfolgt ist und der Arzt die elektronische Weiterleitung an die Krankenkasse veranlasst hat. Denn eine lückenhafte Übermittlung kann schnell zum Streitpunkt werden – vor allem dann, wenn Lohnfortzahlung betroffen ist.
Fahrlässige Körperverletzung Voraussetzungen 👆Juristische Streitfälle und Gerichtspraxis
In der Praxis beschäftigen solche AU-Streitigkeiten regelmäßig die Arbeitsgerichte. Insbesondere in Regionen mit schlechter medizinischer Infrastruktur haben Arbeitnehmer teils erfolgreich argumentiert, dass eine starre Tag-1-Regelung unangemessen sei – zumindest dann, wenn sie regelmäßig zu unverschuldeten Fehlzeiten ohne gültige AU führt.
Beispielhafte Gerichtsentscheidungen
Ein interessantes Beispiel lieferte das Arbeitsgericht Herford (Az. 3 Ca 254/23), das die Tag-1-Regelung eines Arbeitgebers in einem Fall aufhob, weil der betroffene Arbeitnehmer glaubhaft machen konnte, dass es aufgrund fehlender Arztpraxen unmöglich war, am selben Tag eine Krankschreibung zu erhalten.
Andere Gerichte sehen das jedoch strenger – insbesondere dann, wenn Arbeitgeber nachweisen können, dass die Regelung auf Missbrauchsverdacht oder organisatorische Notwendigkeiten zurückgeht.
Zwischenzeugnis ganzer Zeitraum trotz Versetzung 👆Fazit
Die Regelung zur AU am ersten Krankheitstag sorgt regelmäßig für Verwirrung, ist aber rechtlich eindeutig: Arbeitgeber dürfen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG verlangen, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag der Erkrankung vorgelegt wird – und das sogar unbefristet. Solche Vorgaben sind also nicht nur legal, sondern auch durch die elektronische Krankmeldung (eAU) praktikabel umsetzbar. Dennoch ist es entscheidend, dass beide Seiten – Arbeitnehmer wie Arbeitgeber – sich ihrer Rechte und Pflichten bewusst sind. Eine offene Kommunikation kann helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Vertrauen zu erhalten. Wer dauerhaft mit der Pflicht zur AU am ersten Krankheitstag konfrontiert ist, sollte die genauen arbeitsvertraglichen Grundlagen prüfen und im Zweifelsfall rechtlichen Rat einholen.
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Muss die AU immer schon am ersten Krankheitstag vorliegen?
Wenn der Arbeitgeber dies ausdrücklich anordnet, ja. Die Verpflichtung zur AU am ersten Krankheitstag ist durch das Entgeltfortzahlungsgesetz rechtlich gedeckt. In Unternehmen mit dieser Regelung gilt sie, bis der Arbeitgeber sie ändert oder widerruft.
Kann der Arbeitgeber die AU-Pflicht nach Belieben einführen?
Der Arbeitgeber kann die Verpflichtung zur AU ab dem ersten Krankheitstag grundsätzlich jederzeit einführen. Es muss aber transparent kommuniziert werden, idealerweise schriftlich. Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung dürfen dem nicht widersprechen.
Ist eine dauerhafte AU-Pflicht ab dem ersten Tag zumutbar?
Grundsätzlich ja – aber in Einzelfällen, etwa bei medizinischer Unterversorgung, kann sie unzumutbar werden. Gerichte wägen hier ab, ob eine individuelle Härte vorliegt, die diese Verpflichtung unpraktikabel macht.
Was passiert, wenn ich am ersten Krankheitstag keinen Arzttermin bekomme?
Dann kann ein Arzt unter Umständen rückwirkend krankschreiben, meist bis zu drei Tage. Allerdings liegt das im Ermessen des Arztes. Wer keine rückwirkende AU bekommt, riskiert Probleme mit der Lohnfortzahlung.
Gilt die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch bei AU ab Tag 1?
Ja, die eAU ersetzt die frühere Papierbescheinigung. Der Arbeitgeber ruft die Daten elektronisch bei der Krankenkasse ab, nachdem der Arbeitnehmer seine Krankheit mitgeteilt hat. Die Pflicht zur Krankmeldung bleibt bestehen.
Was, wenn ich mich nur krank fühle, aber nicht zum Arzt will?
Ohne ärztliche Bestätigung gilt man arbeitsrechtlich nicht als arbeitsunfähig. Bei bestehender AU-Pflicht am ersten Krankheitstag kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben, etwa Lohnkürzungen oder Abmahnungen.
Ist die Regelung zur AU-Pflicht ein Kündigungsgrund?
Allein das Verlangen nach einer AU am ersten Krankheitstag stellt keinen Kündigungsgrund dar. Wer sich allerdings wiederholt nicht daran hält, riskiert arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur verhaltensbedingten Kündigung.
Gilt die Regelung auch für Minijobber oder Teilzeitkräfte?
Ja. Das Entgeltfortzahlungsgesetz gilt für alle Arbeitnehmer, egal ob Vollzeit, Teilzeit oder Minijob. Die Pflicht zur AU am ersten Krankheitstag kann daher auch für diese Gruppen gelten.
Kann ein Betriebsrat gegen die AU-Pflicht einschreiten?
Falls im Betrieb ein Betriebsrat existiert, hat dieser bei der Einführung oder Änderung solcher Regelungen ein Mitbestimmungsrecht. Der Arbeitgeber muss also den Betriebsrat beteiligen.
Wie oft darf der Arbeitgeber die AU-Regelung ändern?
Der Arbeitgeber darf die Regelung zur Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei Bedarf anpassen. Wichtig ist dabei, dass Änderungen den betroffenen Arbeitnehmern klar und rechtzeitig mitgeteilt werden.
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