Ein BEM-Gespräch kann für viele Betroffene in längerer Arbeitsunfähigkeit emotional belastend und rechtlich unklar wirken. Gerade wenn sich alles um die Wartezeit auf einen Therapieplatz dreht, stellt sich die Frage: Was muss ich überhaupt sagen – und was lieber nicht? In diesem Beitrag klären wir, ob man im BEM-Gespräch auf einen Therapieplatz warten darf, ohne berufliche Nachteile befürchten zu müssen.
Langzeiterkrankung und BEM-Gespräch – ein Fallbeispiel
Eine Arbeitnehmerin ist bereits seit mehreren Monaten krankgeschrieben. Grund dafür ist keine akute körperliche Verletzung, sondern eine psychische Erkrankung, für die eine stationäre oder ambulante Therapie notwendig wäre. Der Haken? Der Therapieplatz lässt auf sich warten – mehrere Monate Wartezeit sind keine Seltenheit. Während dieser Zeit bleibt sie arbeitsunfähig (AU), obwohl sich ihre berufliche Situation selbst nicht geändert hat und keine betrieblichen Anpassungen nötig wären.
Plötzlich lädt der Arbeitgeber zum BEM-Gespräch ein. Die Betroffene fragt sich: Soll ich ehrlich sein und sagen, dass ich auf einen Therapieplatz warte? Oder kann das gegen mich verwendet werden? Diese Unsicherheit betrifft viele – vor allem, wenn es um psychische Diagnosen und sensible medizinische Informationen geht.
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BEM-Gesetzesgrundlage
Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist in § 167 Abs. 2 SGB IX geregelt. Dort heißt es: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der betroffenen Person […] wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt werden kann.“
Das bedeutet: Das BEM soll helfen, die Gesundheit zu stabilisieren und einen Wiedereinstieg zu erleichtern – es ist kein Mittel zur Kontrolle oder zur Kündigungsvorbereitung.
Freiwilligkeit und Schweigerecht
Wichtig zu wissen: Die Teilnahme am BEM-Gespräch ist freiwillig. Niemand ist verpflichtet, medizinische Details preiszugeben – auch nicht über die Diagnose oder über laufende Therapien. Der Arbeitgeber darf keine Diagnosen verlangen und darf auch keine Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ziehen.
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Fokus auf den Arbeitsplatz, nicht die Diagnose
Im Zentrum des BEM-Gesprächs steht nicht die Frage, warum jemand krank ist, sondern wie man in Zukunft besser arbeiten kann. Es geht also um Maßnahmen, die dazu dienen, erneute Fehlzeiten zu vermeiden – etwa technische Hilfen, Arbeitszeitmodelle oder andere organisatorische Änderungen.
Wenn aber – wie im Fall oben – am Arbeitsplatz gar keine Anpassung notwendig ist, besteht objektiv auch kein Bedarf für das Gespräch. Das ist ein Aspekt, den viele nicht wissen: Man darf ein BEM ablehnen, ohne dafür Sanktionen zu befürchten.
Umgang mit dem Therapieplatz
Wenn der Wiedereinstieg ausschließlich davon abhängt, dass ein Therapieplatz verfügbar wird, kann man das im Gespräch erwähnen – muss es aber nicht. Wer sich unwohl fühlt, über psychische Erkrankungen zu sprechen, darf dies völlig legal weglassen. Es reicht ein Hinweis darauf, dass eine medizinische Behandlung läuft und eine Rückkehr zur Arbeit davon abhängt.
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Kein Zwang zur Teilnahme im AU-Zustand
Rein rechtlich ist es möglich, ein BEM-Gespräch auch während einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit anzubieten – verpflichtend ist es aber nicht. Und: Viele Juristen raten dazu, solche Gespräche zu verschieben, bis die Person gesundheitlich in der Lage ist, überhaupt teilzunehmen.
Es liegt im Ermessen der Betroffenen, ob sie ein Gespräch in diesem Zustand führen möchten oder nicht. Der Arbeitgeber kann nicht zwingen – und muss auch keine Konsequenzen androhen, wenn das Gespräch abgelehnt wird.
Empfehlung: Verschiebung statt Ablehnung
Wer sich unsicher fühlt oder den Eindruck hat, dass das Gespräch zu früh kommt, kann dies offen sagen und eine Verschiebung vorschlagen. Das zeigt Kooperationsbereitschaft, ohne sich zu medizinischen Details äußern zu müssen.
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Datenschutz im BEM-Verfahren
Theoretisch sind alle Informationen aus dem BEM vertraulich zu behandeln. Das Verfahren unterliegt dem Datenschutz, und der Arbeitgeber darf Inhalte nicht ohne Einwilligung weitergeben. In der Praxis jedoch bleibt ein Rest an Misstrauen: Was passiert, wenn Personalabteilung oder Vorgesetzte doch über Diagnosen oder Therapien reden?
Wer das Risiko nicht eingehen will, kann sich im Gespräch auf allgemeine Aussagen beschränken. Beispiel: „Eine medizinische Maßnahme ist geplant, die meinen Wiedereinstieg ermöglicht. Aktuell warte ich auf die Terminvergabe.“
Psychische Erkrankungen: Doppelte Sensibilität
Gerade bei psychischen Erkrankungen bestehen Vorurteile – das ist leider Realität. Deshalb ist Zurückhaltung bei der Informationsweitergabe nicht nur erlaubt, sondern manchmal auch klug. Niemand muss sich rechtfertigen. Der Schutz der Persönlichkeit und Privatsphäre wiegt schwerer als ein vermeintliches „Offenheitsgebot“.
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Medizinische Reha und stufenweise Rückkehr
Wer in ärztlicher Behandlung steht, kann bei längerer Krankheit auch eine medizinische Rehabilitation oder eine stufenweise Wiedereingliederung (§ 74 SGB V) beantragen. Diese Modelle sind gut geeignet, um den langsamen Einstieg ins Berufsleben zu erleichtern, ohne gleich voll belastbar sein zu müssen.
Gerade bei langen Wartezeiten auf Therapieplätze kann so zumindest ein Teil der Arbeitsfähigkeit gesichert oder schrittweise aufgebaut werden – immer in enger Abstimmung mit behandelnden Ärzten und ggf. dem Betriebsarzt.
Rolle des Betriebsarztes
Der Betriebsarzt spielt im BEM eine besondere Rolle, da er die gesundheitliche Eignung bewerten kann, ohne persönliche medizinische Daten an den Arbeitgeber weiterzugeben. Wer also eine Einschätzung zur Rückkehrfähigkeit geben möchte, ohne zu viel preiszugeben, kann dies über den Betriebsarzt tun.
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Gesprächsvorbereitung
Vor dem BEM-Termin ist es hilfreich, sich Gedanken zu machen: Welche Fragen könnten kommen? Welche Antworten will ich geben? Was möchte ich lieber nicht sagen?
Manche Betroffene bringen Vertrauenspersonen mit – etwa einen Betriebsrat, eine Schwerbehindertenvertretung oder eine Person ihres Vertrauens. Auch das ist erlaubt und kann helfen, sich sicherer zu fühlen.
Schriftliche Dokumentation
Es ist sinnvoll, sich das Gespräch dokumentieren zu lassen oder selbst Notizen anzufertigen. So bleibt nachvollziehbar, was gesagt wurde – und man kann sich im Nachgang ggf. auf bestimmte Aussagen berufen.
Auch eine schriftliche Ablehnung des BEM oder ein Vorschlag zur Verschiebung sollte möglichst sachlich und klar formuliert werden. So kann man Missverständnissen und rechtlichen Unsicherheiten vorbeugen.
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Ein BEM-Gespräch inmitten einer laufenden Arbeitsunfähigkeit wirkt auf viele zunächst widersprüchlich – vor allem, wenn die Ursache eine psychische Erkrankung ist und der Wiedereinstieg allein vom Beginn einer Therapie abhängt. Doch genau hier greift der gesetzliche Schutz: Niemand ist verpflichtet, Diagnosen offenzulegen oder sich zu rechtfertigen. Wer sich gut vorbereitet und die eigenen Rechte kennt, kann souverän mit der Situation umgehen. Das BEM ist kein Prüfstein für Loyalität oder Belastbarkeit – sondern eine Möglichkeit, Unterstützung anzubieten. Und: Wer aktuell noch nicht gesprächsfähig ist, darf dies sagen – ohne Angst vor Konsequenzen. Wichtig ist nur, dass Betroffene selbst entscheiden, was sie offenlegen möchten.
Gerade wenn ein Therapieplatz noch aussteht, kann man sich auf die Kernfrage konzentrieren: „Was müsste sich im Betrieb ändern?“ Ist die ehrliche Antwort: „Nichts“, dann ist das völlig in Ordnung – auch das ist ein Ergebnis im Sinne des BEM.
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Muss ich im BEM-Gespräch meine Diagnose offenlegen?
Nein, im BEM-Gespräch besteht keine Pflicht zur Offenlegung medizinischer Diagnosen. Das Gespräch dient dazu, mögliche Maßnahmen am Arbeitsplatz zu prüfen, nicht zur Bewertung der Krankheit selbst.
Kann ein BEM-Gespräch während der Arbeitsunfähigkeit stattfinden?
Rechtlich ja – aber es ist keine Pflicht, daran teilzunehmen. Viele Betroffene entscheiden sich, das Gespräch zu verschieben, bis sie gesundheitlich wieder belastbar genug sind.
Was ist, wenn ich auf einen Therapieplatz warte?
Das kann, muss aber nicht im BEM-Gespräch erwähnt werden. Ein allgemeiner Hinweis auf eine laufende medizinische Maßnahme genügt. Der Arbeitgeber darf keine Einzelheiten fordern.
Dient ein BEM-Gespräch als Vorbereitung für eine Kündigung?
Nein. Das BEM soll laut § 167 Abs. 2 SGB IX helfen, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden. Wird es korrekt durchgeführt, darf es keine versteckte Kündigungsabsicht geben.
Darf ich das BEM-Gespräch ablehnen?
Ja, die Teilnahme ist freiwillig. Eine Ablehnung darf nicht negativ bewertet werden. Wer dennoch in Kontakt bleiben möchte, kann auch eine spätere Teilnahme vorschlagen.
Wer darf am BEM-Gespräch teilnehmen?
Neben dem Arbeitgeber können auch der Betriebsrat, die Schwerbehindertenvertretung oder eine Vertrauensperson teilnehmen – allerdings nur mit Zustimmung der betroffenen Person.
Kann ich durch das Warten auf einen Therapieplatz Nachteile haben?
Solange eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) vorliegt, gibt es keine rechtlichen Nachteile. Ein laufender Therapiebedarf kann nicht negativ ausgelegt werden.
Was passiert mit den Informationen aus dem BEM?
Alle Angaben unterliegen dem Datenschutz. Ohne ausdrückliche Zustimmung dürfen sie nicht weitergegeben oder anderweitig verwendet werden.
Muss der Arbeitgeber ein BEM anbieten?
Ja, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind (mehr als 6 Wochen AU in einem Jahr), ist der Arbeitgeber laut Gesetz verpflichtet, ein BEM anzubieten.
Warum ist das BEM-Gespräch wichtig?
Es kann helfen, langfristige Lösungen zu entwickeln – besonders, wenn strukturelle Änderungen am Arbeitsplatz nötig wären. Wenn keine Änderungen nötig sind, kann auch das BEM beendet werden – ohne Konsequenzen.
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