Bezahlung Leerfahrten Schülerbeförderung rechtens?

Die Frage, ob Leerfahrten im Rahmen der Schülerbeförderung zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit zählen, betrifft viele Fahrer im Nahverkehr. Besonders wenn das Dienstfahrzeug zu Hause steht und der Arbeitsbeginn erst beim ersten Fahrgast gilt, stellt sich die rechtliche Zulässigkeit dieser Praxis in den Fokus. Genau um diese problematische Konstellation geht es in diesem Beitrag.

Fahrer in der Schülerbeförderung – Fallbeispiel aus der Praxis

Ein Schulbusfahrer, der monatlich 72 Stunden arbeitet, bekommt laut Arbeitsvertrag seine Arbeitszeit ab dem Moment vergütet, in dem das erste Kind einsteigt. Morgens fährt er rund 15 Minuten leer zum ersten Abholpunkt, am Nachmittag endet die Arbeitszeit direkt nach dem letzten Ausstieg. Diese Fahrten summieren sich zu rund 10 unbezahlten Stunden pro Monat. Obwohl das Firmenfahrzeug privat nicht genutzt werden darf, steht es beim Fahrer zu Hause. Das Routenbeispiel zeigt, dass eine Fahrt vom Firmensitz 10 Minuten länger dauern würde. Ist das wirklich rechtens?

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Arbeitszeit versus Wegezeit – juristische Einordnung

Ob Leerfahrten als Arbeitszeit gelten, hängt maßgeblich von arbeitsrechtlichen Definitionen und Vertragsinhalten ab. Nicht alles, was im Fahrzeug passiert, ist automatisch vergütungspflichtige Arbeitszeit.

Begriffsklärung: Arbeitszeit und Wegezeit

Nach § 2 Abs. 1 ArbZG ist Arbeitszeit die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne die Ruhepausen. Die Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte gilt grundsätzlich als Wegezeit und ist keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Anders ist das jedoch, wenn das Dienstfahrzeug nicht nur genutzt, sondern die Arbeitsausführung damit verbunden ist.

Fahrzeugüberlassung als entscheidender Faktor

Ein zentrales Kriterium ist, ob der Arbeitgeber den Fahrer anweist, das Fahrzeug zu Hause abzustellen. Wird dies vorgeschrieben oder ausdrücklich erlaubt, kann die Fahrt zur ersten Station durchaus Arbeitszeit sein. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) und einige Landesarbeitsgerichte haben hierzu differenzierte Urteile gefällt.

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Rechtsprechung zur Bezahlung von Leerfahrten

Gerade für Berufskraftfahrer ist die Rechtslage nicht immer eindeutig, aber es gibt Urteile, die Licht ins Dunkel bringen.

Urteil des LAG Hamm – Az. 14 Sa 922/19

In diesem Fall wurde einem Fahrer ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt, mit dem er morgens von zu Hause zur ersten Station fuhr. Der Arbeitgeber betrachtete diese Fahrt als privat. Das LAG Hamm entschied jedoch, dass die Fahrt mit dem Firmenfahrzeug ab dem Abstellort (also dem Wohnsitz) vergütungspflichtige Arbeitszeit sei, wenn das Fahrzeug nicht privat genutzt werden darf und dienstlich bewegt wird.

Vergleich mit anderen Tätigkeitsorten

Würde der Fahrer jeden Morgen das Fahrzeug erst am Betriebsgelände abholen, würde dieser Weg nicht bezahlt. Aber da die Fahrt mit dem Dienstfahrzeug direkt zum ersten Kind erfolgt, ist sie eher mit einer dienstlichen Anfahrt gleichzusetzen. Auch § 21a Abs. 3 ArbZG zur Lenk- und Ruhezeitregelung bei Fahrpersonal spricht davon, dass alle Lenkzeiten Arbeitszeit sind.

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Vertragsklauseln kritisch hinterfragen

Im vorliegenden Fall steht im Vertrag lediglich, dass die Arbeitszeit mit dem Einsteigen des ersten Kindes beginnt. Diese Formulierung ist problematisch.

Unklare Definition des Arbeitsbeginns

Wenn der Beginn der Arbeitszeit an den „ersten Fahrgast“ geknüpft ist, bleibt offen, was passiert, wenn dieser kurzfristig ausfällt oder sich die Route ändert. Muss dann unvergütet zum zweiten Fahrgast gefahren werden? Hier fehlt es an klarer und fairer Regelung.

Günstigkeitsprinzip nach § 4 TVG

Falls ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung existiert, die dem Fahrer günstigere Regelungen bietet, überwiegt diese nach dem Günstigkeitsprinzip. Auch ohne Tarifbindung kann eine einseitige Benachteiligung in der Vertragsklausel nach § 307 BGB unwirksam sein.

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Wirtschaftliche Auswirkungen für die Fahrer

Die unbezahlten Leerfahrten führen nicht nur zu einem Verlust an Freizeit, sondern auch zu einem spürbaren finanziellen Nachteil. 10 Stunden pro Monat bei Mindestlohn (aktuell 12,41 €) bedeuten fast 125 Euro monatlich – und damit über 1.500 Euro pro Jahr. Gerade bei Teilzeitkräften kann das erheblich ins Gewicht fallen.

Steuerliche Aspekte und geldwerter Vorteil

Ein weiterer Aspekt ist die Nutzung des Dienstwagens. Wird dieser zwar nicht privat, aber zur täglichen Anfahrt genutzt, könnte ein geldwerter Vorteil vorliegen, der zu versteuern wäre – oder auch nicht, je nachdem, ob es sich um eine betriebliche Nutzung handelt. Ohne klare Regelung kann das später zum Streit mit dem Finanzamt führen.

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Handlungsempfehlungen für betroffene Fahrer

Was können Fahrer tun, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

Arbeitsvertrag prüfen und Gespräch suchen

Zunächst sollten Fahrer ihren Arbeitsvertrag genau prüfen: Gibt es Klauseln zur Fahrzeugnutzung? Wird ein konkreter Arbeitsbeginn definiert? Ist der Ort der ersten Tätigkeit genau bezeichnet? Diese Punkte sind entscheidend. Danach lohnt sich ein Gespräch mit dem Arbeitgeber, ggf. mit Unterstützung des Betriebsrats oder einer Gewerkschaft.

Dokumentation der tatsächlichen Fahrzeiten

Wichtig ist, die eigene Arbeitsleistung korrekt zu dokumentieren. Ein Fahrtenbuch mit genauen Abfahrts- und Ankunftszeiten kann im Streitfall helfen, den tatsächlichen Zeitaufwand zu belegen. Auch für mögliche Nachzahlungen oder eine Klage wegen ausstehender Vergütung ist das hilfreich.

Rechtliche Klärung durch Anwalt

Wenn keine Einigung möglich ist, sollte juristische Hilfe in Anspruch genommen werden. Da es hier um systematisch nicht bezahlte Arbeitszeit geht, kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht prüfen, ob eine Klage auf Nachvergütung Aussicht auf Erfolg hat. Dabei hilft das LAG Hamm Urteil als starke Argumentationshilfe.

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Besonderheiten im Bereich Schülerbeförderung

Die Schülerbeförderung unterliegt teils anderen Regeln als klassische Transportdienste. Dennoch gelten auch hier die arbeitsrechtlichen Grundsätze.

Schutzvorschriften für Fahrpersonal

Das Fahrpersonalgesetz (FPersG) in Verbindung mit der Fahrpersonalverordnung (FPersV) regelt Arbeitszeit, Lenkzeit und Ruhezeit. Auch wenn das nicht direkt auf Minijobber anwendbar ist, zeigt es doch, dass Fahrtzeiten mit dem Dienstfahrzeug grundsätzlich als Arbeitszeit verstanden werden sollten.

Mindestlohn gilt für jede geleistete Stunde

Nach dem Mindestlohngesetz (§ 1 MiLoG) ist jede geleistete Arbeitsstunde zu vergüten. Es wäre also rechtswidrig, Fahrzeiten mit dem Fahrzeug nicht zu bezahlen, wenn diese objektiv Teil der Arbeitsausführung sind – besonders wenn sie sich regelmäßig wiederholen und vorhersehbar sind.

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Fazit

Die Frage, ob die Bezahlung von Leerfahrten in der Schülerbeförderung rechtens ist, lässt sich nicht pauschal beantworten – aber der Fall JeromeM zeigt deutlich: Wenn der Arbeitgeber den Einsatz des Dienstfahrzeugs vorgibt, kann die Fahrt zum ersten Fahrgast durchaus als Arbeitszeit gelten. Der entscheidende Punkt liegt in der Vertragsgestaltung sowie der praktischen Umsetzung durch den Arbeitgeber. Rechtlich betrachtet sprechen Urteile wie das des LAG Hamm dafür, dass Leerfahrten mit dem Dienstfahrzeug arbeitszeitrechtlich relevant sein können – und damit auch zu vergüten sind. Wer regelmäßig täglich 30 Minuten unbezahlt fährt, sollte das nicht einfach hinnehmen, sondern eine arbeitsrechtliche Prüfung in Erwägung ziehen. Gerade bei Schülerbeförderung mit Dienstwagen lohnt es sich, nachzuhaken – denn es geht nicht nur um ein paar Minuten, sondern um faire Bezahlung und rechtliche Klarheit.

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FAQ

Gilt die Fahrt zum ersten Fahrgast als Arbeitszeit?

Ja, wenn das Dienstfahrzeug dienstlich genutzt und vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellt wird, kann die Fahrt zum ersten Fahrgast als vergütungspflichtige Arbeitszeit gelten – insbesondere bei gewerblichen Fahrern wie in der Schülerbeförderung.

Was sagt das Gesetz zur Bezahlung von Leerfahrten?

Das Arbeitszeitgesetz (§ 2 Abs. 1 ArbZG) definiert Arbeitszeit klar, doch bei Fahrpersonal kommt es auf den tatsächlichen Einsatzort an. Wird das Fahrzeug vom Wohnort aus dienstlich genutzt, spricht vieles dafür, dass auch Leerfahrten bezahlt werden müssen.

Ist ein Arbeitsvertrag wirksam, wenn er die Bezahlung erst ab dem ersten Fahrgast vorsieht?

Solche Klauseln sind kritisch zu betrachten. Wird damit systematisch Arbeitszeit ausgeklammert, kann sie nach § 307 BGB wegen unangemessener Benachteiligung unwirksam sein.

Wie kann ich mich als Fahrer gegen unbezahlte Leerfahrten wehren?

Zuerst sollte der Arbeitsvertrag geprüft und ein Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht werden. Falls das nicht hilft, kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht konkrete rechtliche Schritte einleiten.

Was bedeutet das Urteil LAG Hamm (Az. 14 Sa 922/19) für Fahrer?

Das Urteil stärkt Fahrerrechte, wenn der Arbeitgeber den Einsatz des Fahrzeugs von zu Hause anordnet. Die Entscheidung legt nahe, dass ab Fahrtbeginn mit dem Dienstfahrzeug Arbeitszeit vorliegt – nicht erst bei Kundenkontakt.

Muss ich die Fahrtzeit zum Firmensitz ebenfalls bezahlt bekommen?

Nein. Die Fahrt zum Arbeitsplatz mit einem privaten Pkw zählt zur privaten Wegezeit. Bei Dienstwagennutzung sieht das jedoch anders aus.

Welche Rolle spielt der Mindestlohn bei Leerfahrten?

Nach dem Mindestlohngesetz (§ 1 MiLoG) muss jede tatsächlich geleistete Arbeitszeit mit mindestens dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden. Leerfahrten dürfen also nicht einfach unbezahlt bleiben.

Was passiert, wenn der erste Fahrgast krank ist?

Der Arbeitsbeginn bleibt im Zweifel gleich, wenn die Fahrt bereits aufgenommen wurde. Es wäre nicht zulässig, rückwirkend den Arbeitsbeginn zum zweiten Fahrgast zu verlegen.

Wie sollte ich meine Arbeitszeit dokumentieren?

Ein detailliertes Fahrtenbuch mit Uhrzeiten und Strecken kann bei Konflikten helfen. Es dient als Nachweis für tatsächlich geleistete, aber eventuell nicht vergütete Arbeit.

Darf ich das Dienstfahrzeug überhaupt zu Hause parken?

Nur wenn der Arbeitgeber das erlaubt oder anordnet. In diesem Fall trägt er auch die Verantwortung für die Einsatzzeit des Fahrzeugs – einschließlich Leerfahrten im Rahmen der Schülerbeförderung.

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