Erklärvideo Pflicht Arbeit: Was darf der Arbeitgeber?

In vielen Unternehmen ist es inzwischen Standard, Prozesse digital zu erklären – per Erklärvideo. Doch was passiert, wenn der Arbeitgeber verlangt, dass Mitarbeitende mit Bild und Stimme auftreten? Diese Frage wirft nicht nur arbeitsrechtliche, sondern auch datenschutzrechtliche Probleme auf. Besonders spannend wird es, wenn das weder im Arbeitsvertrag geregelt ist noch eine Einwilligung vorliegt. Genau darum geht es in diesem Beitrag zum Thema Erklärvideo Pflicht Arbeit.

IT-Support soll Erklärvideo mit Gesicht erstellen – ein Praxisfall

Ein IT-Support-Mitarbeiter eines großen öffentlichen Arbeitgebers wird gebeten, ein Erklärvideo zu erstellen. In diesem Video sollen sowohl seine Stimme als auch sein Gesicht zu sehen und zu hören sein. Der Clip soll im unternehmensweiten Intranet für über 10.000 Mitarbeiter verfügbar sein. Im Arbeitsvertrag ist eine solche Tätigkeit nicht vorgesehen. Auch eine ausdrückliche Zustimmung hat er nicht erteilt. Trotzdem besteht der Arbeitgeber auf der Umsetzung. Es stellt sich die Frage: Ist das überhaupt erlaubt?

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Rechtliche Einordnung der Arbeitsaufgabe

Arbeitsvertragliche Grundlage prüfen

Zunächst muss geklärt werden, ob eine solche Aufgabe überhaupt vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist. Das Direktionsrecht ergibt sich aus § 106 Gewerbeordnung (GewO) und erlaubt es dem Arbeitgeber, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung näher zu bestimmen – allerdings nur im Rahmen des Arbeitsvertrags, Tarifvertrags oder einer Betriebsvereinbarung.

Wenn im Arbeitsvertrag lediglich „IT-Support“ als Aufgabe aufgeführt ist, kann ein Erklärvideo – insbesondere mit eigenem Bild und Ton – schon weit über das hinausgehen, was üblicherweise unter Support verstanden wird. Denn dabei handelt es sich nicht nur um technische Hilfe, sondern um eine mediengestalterische Tätigkeit mit öffentlichem Charakter.

Keine Pflicht zur Selbstdarstellung

Das Recht am eigenen Bild ist durch § 22 Kunsturhebergesetz (KunstUrhG) geschützt. Ohne Einwilligung dürfen Bildnisse grundsätzlich nicht veröffentlicht oder verbreitet werden. Ausnahmen bestehen nur bei Personen der Zeitgeschichte oder bei Einwilligung durch Gesetz oder Vertrag – was hier alles nicht gegeben ist.

Auch die Stimme fällt unter personenbezogene Daten im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO ist eine Verarbeitung nur erlaubt, wenn eine Rechtsgrundlage vorhanden ist – z.B. eine ausdrückliche Einwilligung der betroffenen Person oder ein überwiegendes berechtigtes Interesse des Arbeitgebers. Letzteres ist in Fällen wie diesem kaum durchsetzbar, da das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers regelmäßig überwiegt.

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Datenschutzrechtliche Bewertung

Bild- und Tonaufnahmen als personenbezogene Daten

Sowohl das Abbild als auch die Stimme eines Menschen sind personenbezogene Daten. Das bedeutet: Der Arbeitgeber darf diese Daten nicht einfach erheben, speichern und verbreiten. Auch wenn das Video nur intern verbreitet wird, liegt eine Datenverarbeitung im Sinne der DSGVO vor.

Einwilligung nach DSGVO ist zwingend erforderlich

Nach Art. 7 DSGVO ist eine Einwilligung nur wirksam, wenn sie freiwillig und in informierter Weise erfolgt. Das bedeutet auch: Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, die Einwilligung zu verweigern, ohne Nachteile zu befürchten. In der Praxis ist das allerdings oft problematisch. Denn wer will schon als „unkooperativ“ gelten?

Ausnahme: berechtigtes Interesse?

Ein Arbeitgeber kann sich theoretisch auf Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO berufen, also auf ein sogenanntes „berechtigtes Interesse“. Dieses darf aber nicht die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person überwiegen. Und genau das ist im vorliegenden Fall fraglich: Ein Erklärvideo lässt sich auch anonymisiert oder mit Avataren bzw. externen Sprechern gestalten. Es besteht also keine zwingende Notwendigkeit, gerade den Mitarbeitenden mit Gesicht und Stimme auftreten zu lassen.

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Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit der Aufgabe

Grenzen des Weisungsrechts

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (u.a. BAG, Urteil vom 28.10.2010 – 2 AZR 293/09) muss eine Anweisung des Arbeitgebers „billigem Ermessen“ entsprechen. Das bedeutet: Der Arbeitgeber muss sowohl die Interessen des Betriebs als auch die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen. Die Verpflichtung, sich vor einem Großpublikum in Bild und Ton zu präsentieren, geht über das normale Maß hinaus.

Alternativen sind möglich und zumutbar

In der Praxis gibt es viele Möglichkeiten, Schulungsinhalte zu vermitteln: PowerPoint-Präsentationen, schriftliche Anleitungen mit Screenshots oder Screencasts ohne Gesicht oder Stimme. Wenn solche Alternativen bestehen, ist eine Verpflichtung zum Auftritt im Video umso weniger gerechtfertigt.

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Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats

Informations- und Mitbestimmungsrechte nach BetrVG

Wenn es im Unternehmen einen Betriebsrat gibt, hat dieser nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht. Insbesondere bei Fragen der Ordnung des Betriebs sowie der Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen zur Überwachung des Verhaltens der Arbeitnehmer ist der Betriebsrat zu beteiligen. Ein Intranet-Video, in dem Mitarbeitende sichtbar und hörbar auftreten, kann durchaus in diesen Bereich fallen – insbesondere wenn der Arbeitgeber den Auftritt erzwingt.

Bedeutung der betrieblichen Interessenvertretung

Der Betriebsrat kann darauf bestehen, dass ein solches Projekt nur mit Einwilligung der Betroffenen umgesetzt wird. Er kann auch vorschlagen, alternative Lösungen zu wählen – z.B. externe Sprecher oder anonymisierte Darstellungen. In vielen Fällen lassen sich auf diesem Weg einvernehmliche Lösungen finden, ohne Druck auf Einzelpersonen auszuüben.

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Handlungsmöglichkeiten für betroffene Mitarbeitende

Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen

Betroffene sollten das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen und erklären, warum sie mit der Darstellung in Bild und Ton nicht einverstanden sind. Es hilft, wenn man konkrete Alternativen vorschlägt – etwa ein Erklärvideo ohne persönliche Darstellung oder mit einem externen Sprecher.

Schriftlich widersprechen

Wenn der Arbeitgeber trotzdem auf der Veröffentlichung besteht, ist ein schriftlicher Widerspruch empfehlenswert. Dieser sollte sich auf das KunstUrhG und die DSGVO beziehen und deutlich machen, dass keine Einwilligung zur Verwendung von Bild und Stimme erteilt wird.

Unterstützung durch den Betriebsrat oder Personalrat

Falls vorhanden, sollten sich Betroffene an den Betriebs- oder Personalrat wenden. Dieser kann auch gegenüber dem Arbeitgeber auftreten und rechtliche Bedenken vorbringen. In manchen Fällen ist auch eine rechtliche Beratung durch eine Gewerkschaft oder einen Fachanwalt für Arbeitsrecht sinnvoll.

Dokumentation ist wichtig

Mitarbeitende sollten genau dokumentieren, wann und wie der Arbeitgeber die Erstellung des Videos angeordnet hat. Das kann im Streitfall wichtig sein – etwa, wenn es zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen kommt oder der Datenschutzbeauftragte eingeschaltet wird.

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Relevante Rechtsprechung und juristische Quellen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 19.02.2015 – 8 AZR 1011/13) hat entschieden, dass Aufnahmen von Arbeitnehmern nur mit deren ausdrücklicher Zustimmung erlaubt sind. Eine allgemeine arbeitsvertragliche Klausel reicht hierfür nicht aus. Ebenso hat der Europäische Gerichtshof in mehreren Entscheidungen betont, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten nur unter strengen Voraussetzungen zulässig ist (EuGH, Urteil vom 20.10.2022 – C-77/21).

Auch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) ergänzt die DSGVO. Nach § 26 Abs. 2 BDSG ist eine Einwilligung im Beschäftigungsverhältnis nur wirksam, wenn sie freiwillig ist. Wenn also ein erkennbarer Druck durch Vorgesetzte besteht, kann die Einwilligung nicht als freiwillig gelten.

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Fazit

Die Verpflichtung zur Erstellung eines Erklärvideos mit Bild und Ton ist arbeitsrechtlich und datenschutzrechtlich nur unter klar definierten Bedingungen zulässig. Ohne vertragliche Grundlage oder freiwillige Einwilligung kann ein Arbeitgeber dies nicht einseitig verlangen. Besonders das Auftreten mit Gesicht und Stimme stellt einen tiefen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar, das durch das Kunsturhebergesetz und die DSGVO geschützt ist. Auch wenn die Erstellung technischer Anleitungen zum erweiterten Tätigkeitsbereich im IT-Support gehören kann, bedeutet das nicht automatisch, dass eine Erklärvideo Pflicht bei der Arbeit rechtens ist. Arbeitgeber sind gut beraten, alternative Lösungen zu nutzen und auf Freiwilligkeit zu setzen, um rechtliche Konflikte und Unzufriedenheit im Team zu vermeiden.

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FAQ

Muss ich einem Erklärvideo mit meinem Gesicht zustimmen?

Nein, Sie müssen nicht zustimmen. Ihr Gesicht unterliegt dem Schutz des § 22 KunstUrhG und darf nur mit ausdrücklicher Einwilligung verwendet werden.

Gilt meine Stimme im Video auch als personenbezogenes Datum?

Ja, auch Ihre Stimme ist ein personenbezogenes Datum im Sinne der DSGVO. Eine Nutzung ist nur bei rechtlicher Grundlage oder Einwilligung erlaubt.

Darf mein Arbeitgeber mich zur Erstellung eines Erklärvideos verpflichten?

Nur dann, wenn es arbeitsvertraglich vereinbart ist oder eine entsprechende Nebenpflicht besteht. Eine generelle Pflicht zur Selbstdarstellung mit Ton und Bild besteht nicht.

Reicht eine mündliche Zustimmung aus?

Nein, laut Art. 7 DSGVO muss eine Einwilligung dokumentiert und freiwillig erfolgt sein. Mündliche Zustimmungen sind schwer beweisbar und im Streitfall meist nicht haltbar.

Was, wenn ich das Video intern, aber nicht extern veröffentlichen will?

Auch interne Verbreitung ist datenschutzrechtlich relevant. Die Einwilligung muss sich auf genau diesen Verwendungszweck beziehen – intern wie extern.

Kann ich wegen Verweigerung arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten?

Nicht ohne Weiteres. Eine Abmahnung oder Kündigung ist nur dann rechtmäßig, wenn die Anweisung an sich rechtlich zulässig war – was bei der Erklärvideo Pflicht Arbeit meist nicht gegeben ist.

Welche Alternativen zum Video mit Gesicht und Stimme gibt es?

Es können Videos mit Avataren, Textanleitungen, Screenshots oder anonyme Bildschirmaufnahmen erstellt werden. Diese sind datenschutzfreundlicher und oft auch didaktisch sinnvoller.

Was sagt der Betriebsrat zu solchen Anforderungen?

Der Betriebsrat hat bei der Einführung solcher Maßnahmen ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG. Ohne seine Zustimmung kann die Maßnahme unter Umständen unzulässig sein.

Muss ich das Video selbst produzieren oder nur inhaltlich beitragen?

Das hängt vom Arbeitsvertrag ab. Kreative oder mediengestalterische Tätigkeiten gehören in der Regel nicht zum klassischen IT-Support, außer sie wurden ausdrücklich vereinbart.

Darf mein Arbeitgeber Aufnahmen aus dem Arbeitsalltag veröffentlichen?

Nicht ohne Ihre Einwilligung. Auch spontane Aufnahmen bei der Arbeit, die später für Erklärvideos genutzt werden, sind genehmigungspflichtig.

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