Winterjacke Arbeitsanweisung bei 40 Grad Unterschied?

Wenn der Arbeitsweg bei Frosttemperaturen ohne Jacke zurückgelegt werden soll, schrillen bei vielen die Alarmglocken – zu Recht. Die Kombination aus langen Fußwegen, extremen Temperaturunterschieden und einer rigiden Arbeitsanweisung sorgt für hitzige Diskussionen über die Grenzen des Weisungsrechts. In diesem Beitrag schauen wir uns an, was arbeitsrechtlich erlaubt ist, und wo klare Grenzen gezogen werden müssen – besonders wenn es um Ihre Gesundheit geht.

Extremfall aus der Praxis

Ein Elektriker schildert, wie er als Mitarbeiter eines Fremdfirmen-Dienstleisters im Rahmen seiner Schichtarbeit täglich mit extremen Bedingungen konfrontiert ist. Seit der Änderung der Arbeitszeiten und der gleichzeitigen Einschränkung des ÖPNV ist er gezwungen, morgens 6 Kilometer zur Arbeit zu Fuß zurückzulegen. In der Halle läuft er dann bis zu 40 Kilometer täglich.

Besonders gravierend wird die Situation durch eine neue Arbeitsanweisung: Winterjacken dürfen nicht in die Produktionshalle mitgenommen werden. Sie müssen 800 Meter entfernt in einem Fahrzeug oder einem externen Container gelagert werden – eine kurzfristige Umstellung, da der bisherige Lagercontainer wegen Umbauarbeiten weggefallen ist.

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Arbeitsweg und Zumutbarkeit

Die Gestaltung des Arbeitswegs liegt grundsätzlich in der Verantwortung des Arbeitnehmers. Laut ständiger Rechtsprechung (z. B. BAG, Urteil vom 11.03.2009 – 5 AZR 251/08) ist der Weg zur Arbeit Privatsache. Das heißt: Es gibt keine gesetzlich definierte maximale Gehstrecke, die ein Arbeitgeber nicht mehr verlangen darf. Dennoch gilt auch hier das Prinzip der Zumutbarkeit.

Zumutbarkeit bei geänderten Arbeitszeiten

Wenn ein Arbeitgeber die Arbeitszeit so verlegt, dass die bisherige Erreichbarkeit (z. B. durch Bus) entfällt, muss geprüft werden, ob dies noch zumutbar ist. Zwar besteht kein Anspruch auf Transport durch den Arbeitgeber, jedoch könnte ein extremes Missverhältnis zwischen Arbeitsbeginn und Erreichbarkeit – insbesondere bei Schichtarbeit – problematisch sein.

Gesundheitsschutz auf dem Arbeitsweg

Rechtlich gesehen ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, für den Arbeitsweg Schutzmaßnahmen zu treffen. Dennoch kann er mittelbar verantwortlich werden, wenn seine Weisungen diesen Weg gefährlich machen – etwa durch die Pflicht, Schutzkleidung schon vor Betreten des Geländes abzulegen, ohne alternative Lagerung in zumutbarer Entfernung anzubieten.

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Direktionsrecht des Arbeitgebers

Grundsätzlich darf der Arbeitgeber im Rahmen seines sogenannten Direktionsrechts (§ 106 GewO) Vorgaben zur Arbeitsdurchführung machen – auch zur Kleidung am Arbeitsplatz. Er kann etwa aus Sicherheits- oder hygienischen Gründen das Tragen bestimmter Kleidung untersagen.

Weisung zur Jackenlagerung und Gesundheitsschutz

Eine Weisung, Winterjacken 800 Meter vor dem Gebäude abzulegen und mehrfach täglich bei Minustemperaturen ohne angemessenen Schutz zu laufen, dürfte das Direktionsrecht überschreiten. Denn laut § 618 BGB ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Arbeitsplatz so zu gestalten, dass keine vermeidbaren Gesundheitsgefahren entstehen.

Praktische Zumutbarkeit prüfen

Die Frage, ob eine Maßnahme „unzumutbar“ ist, hängt immer vom konkreten Einzelfall ab. In der geschilderten Konstellation – bis zu 20 Wege pro Schicht über 800 Meter bei bis zu -10 °C – ist eine solche Weisung wahrscheinlich unzumutbar. Es handelt sich dabei nicht mehr um einzelne Wege, sondern um einen massiven Eingriff in den körperlichen Schutz.

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Arbeitsschutzrechtliche Grundlagen

§ 618 BGB – Schutzpflichten des Arbeitgebers

Dieser Paragraph verpflichtet den Arbeitgeber, die Arbeitsstätte so zu gestalten, dass Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst ausgeschlossen werden. Dazu zählt auch der Witterungsschutz – insbesondere bei Schichtarbeit in der Nacht.

ArbSchG – Allgemeines Arbeitsschutzgesetz

Gemäß § 4 Nr. 1 ArbSchG sind Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen vermieden werden. Temperaturunterschiede von bis zu 40 Grad, ohne Zwischenlagerungsmöglichkeit oder Schutzmaßnahmen, verstoßen gegen diesen Grundsatz. Arbeitgeber müssen die Verhältnismäßigkeit ihrer Weisungen prüfen und entsprechende Maßnahmen ergreifen – etwa durch beheizte Garderoben oder kürzere Wege.

TRBA und DGUV-Vorgaben

In bestimmten Branchen, z. B. Elektrotechnik oder Instandhaltung, gelten zusätzlich branchenspezifische Regelwerke der DGUV (Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) sowie Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA), die insbesondere Kleidung und Pausenregelungen betreffen.

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Möglichkeiten für betroffene Arbeitnehmer

Gespräche und Dokumentation

Betroffene sollten zunächst das Gespräch mit dem direkten Vorgesetzten suchen und die Situation klar darstellen – schriftlich, mit Datum, Uhrzeit und gesundheitlichen Auswirkungen dokumentiert. Das gilt auch für Krankmeldungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit den Weisungen stehen.

Einschaltung des Betriebsrats

Besonders relevant: Laut § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Regelungen zum Gesundheitsschutz. Ist der Betriebsrat – wie im Fall des Elektrikers – nicht beim Verleiher, sondern beim Entleiher zuständig, so ist auch dieser Ansprechpartner. Arbeitnehmer dürfen sich auch ohne Zustimmung des Verleihers direkt an den Entleiher-Betriebsrat wenden.

Verweigerung der Weisung bei Gefahr für Leib und Leben

In besonders krassen Fällen darf ein Arbeitnehmer eine Weisung verweigern, wenn sie gegen § 618 BGB oder § 4 ArbSchG verstößt. Voraussetzung ist eine nachweisbare Gesundheitsgefahr, etwa durch ärztliche Atteste oder dokumentierte Krankheitsfälle im Team.

Gerichtliche Klärung im Eilverfahren

Im äußersten Fall – z. B. wenn Gespräche scheitern und gesundheitliche Schäden drohen – kann ein gerichtliches Eilverfahren in Betracht gezogen werden. Dabei entscheidet das Arbeitsgericht darüber, ob eine bestimmte Weisung ausgesetzt oder unterlassen werden muss (§ 100 ArbGG).

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Wer haftet im Krankheitsfall?

Wird ein Arbeitnehmer krank, weil er mehrfach täglich ohne Schutzkleidung Kälte ausgesetzt ist, kann dies zur Frage führen, ob der Arbeitgeber haftbar ist. Nach § 104 SGB VII ist der Arbeitgeber zwar bei Arbeitsunfällen grundsätzlich versichert – aber grobe Pflichtverletzungen können zu Regressansprüchen führen.

Zusammenhang zwischen Anweisung und Erkrankung

Wenn – wie im beschriebenen Fall – auffällig viele Mitarbeiter in kurzer Zeit wegen Grippe oder anderen Erkältungskrankheiten ausfallen, und ein klarer Zusammenhang zur Arbeitsanweisung besteht, kann das sogar arbeitsmedizinische Relevanz haben.

Beweissicherung durch ärztliche Atteste

Je besser die gesundheitlichen Beschwerden dokumentiert sind, desto größer ist die Chance, beim Arbeitgeber auf Einsicht oder sogar Entschädigung zu stoßen. Auch im Krankheitsfall sind ärztliche Atteste mit dem Hinweis auf die Ursachen wichtig – insbesondere bei systematischen Problemen.

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Was sollte der Arbeitgeber tun?

Ein verantwortungsvoller Arbeitgeber sollte bei Änderungen im Betriebsablauf stets die Verhältnismäßigkeit prüfen – besonders bei Witterungsbedingungen. Die Bereitstellung eines beheizten Vorraums, Garderobenschranks oder Spinds in erreichbarer Nähe wäre eine naheliegende und zumutbare Lösung.

Auch die Anpassung der Arbeitskleidungsrichtlinie an die saisonalen Bedingungen – etwa durch Ausgabe von Übergangskleidung oder Thermoausrüstung – zeigt Verantwortung und verbessert das Betriebsklima.

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Fazit

Die im Fall geschilderte Arbeitsanweisung, Winterjacken bei Außentemperaturen von unter minus 5 °C 800 Meter entfernt abzulegen, überschreitet in vielerlei Hinsicht die Grenzen des arbeitsrechtlich zulässigen Direktionsrechts. Zwar darf der Arbeitgeber im Rahmen seiner Organisationsgewalt bestimmte Kleidervorgaben machen, doch das entbindet ihn nicht von seiner Fürsorgepflicht gemäß § 618 BGB und den Anforderungen des Arbeitsschutzgesetzes. Gesundheit geht vor – besonders wenn der tägliche Weg ohne Winterjacke in der Nachtschicht ein gesundheitliches Risiko darstellt. Gerade bei mehrfachen Gängen zwischen Produktionshalle und Außenbereich kann ein Temperaturunterschied von bis zu 40 Grad nicht mehr als zumutbar gelten. Arbeitgeber, die hier keine praktikable Lösung anbieten, handeln potenziell rechtswidrig. Beschäftigte sollten nicht zögern, Gespräche zu suchen, sich an den Betriebsrat zu wenden und bei anhaltender Untätigkeit rechtliche Schritte zu prüfen. Der Schutz der Gesundheit steht dabei immer an erster Stelle – auch bei der Umsetzung von Arbeitsanweisungen.

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FAQ

Muss ich meine Winterjacke wirklich draußen lassen, wenn der Arbeitgeber das verlangt?

Grundsätzlich darf der Arbeitgeber im Rahmen seines Weisungsrechts Vorgaben zur Arbeitskleidung machen. Wenn jedoch der Weg ohne Winterjacke durch Minustemperaturen führt und keine zumutbare Aufbewahrungsmöglichkeit besteht, kann dies unzulässig sein. Die Verpflichtung zum Gesundheitsschutz hat Vorrang.

Gibt es eine gesetzliche Grenze für den täglichen Fußweg zur Arbeit?

Nein, eine gesetzliche Maximaldistanz für den Arbeitsweg gibt es nicht. Der Arbeitsweg ist grundsätzlich Privatsache. Dennoch gilt: Wenn Änderungen der Arbeitszeit faktisch den Zugang zum Arbeitsplatz erheblich erschweren, kann das arbeitsrechtlich relevant werden.

Wie oft darf ich täglich zwischen Kälte und Wärme pendeln?

Es gibt keine konkrete gesetzliche Begrenzung. Entscheidend ist jedoch, ob die konkreten Arbeitsbedingungen – etwa 10 bis 20 Gänge täglich bei 40 Grad Temperaturunterschied – gesundheitsgefährdend sind. In solchen Fällen kann eine Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG erforderlich sein.

Was kann ich tun, wenn ich gesundheitliche Beschwerden wegen der Arbeitsanweisung habe?

Beschwerden sollten dokumentiert und ärztlich attestiert werden. Parallel ist das Gespräch mit Vorgesetzten oder dem Betriebsrat zu suchen. Sollte keine Abhilfe erfolgen, ist auch eine Weigerung der Ausführung unter Berufung auf § 618 BGB denkbar – notfalls mit gerichtlicher Unterstützung.

Wer ist für Fremdfirmenmitarbeiter zuständig – Verleiher oder Entleiher?

Für Fragen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist laut § 81 BetrVG auch der Betriebsrat des Entleihers zuständig. Beschäftigte dürfen sich also auch dann an diesen wenden, wenn sie über eine Fremdfirma angestellt sind.

Kann ich meine Arbeit verweigern, wenn ich gesundheitliche Schäden befürchte?

Ja, wenn eine konkrete und erhebliche Gesundheitsgefahr besteht und der Arbeitgeber trotz Hinweis keine Abhilfe schafft, kann nach § 275 Abs. 3 BGB die Arbeitsleistung verweigert werden. Die Beweislast liegt jedoch beim Arbeitnehmer – also gut dokumentieren!

Welche Rolle spielt das Arbeitsschutzgesetz bei solchen Anweisungen?

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Arbeitgeber, Maßnahmen zum Schutz vor Gesundheitsgefahren zu treffen. Wiederholtes Pendeln bei extremen Temperaturunterschieden kann als solche Gefahr gelten und müsste durch geeignete Schutzmaßnahmen abgefedert werden.

Was passiert, wenn mehrere Kollegen wegen solcher Zustände krank werden?

Wenn auffällig viele Mitarbeiter erkranken, kann das ein Hinweis auf systematische Mängel im Gesundheitsschutz sein. Dies kann zu Haftungsfragen führen oder arbeitsmedizinische Untersuchungen nach sich ziehen.

Ist es rechtens, dass wir keine Fahrräder nutzen dürfen?

Ein generelles Fahrradverbot kann im Rahmen des Hausrechts erlaubt sein, muss jedoch verhältnismäßig sein. Wenn dies die einzige Möglichkeit wäre, sich gegen die Kälte zu schützen, sollte der Arbeitgeber Alternativen anbieten.

Was kann ich tun, wenn mein Arbeitgeber auf meine Beschwerden nicht reagiert?

Neben dem Betriebsrat kann man sich an die zuständige Aufsichtsbehörde für Arbeitsschutz wenden. Auch eine einstweilige Verfügung vor dem Arbeitsgericht (§ 100 ArbGG) kann helfen, unzumutbare Anweisungen kurzfristig auszusetzen.

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