Anrechnung von Überstunden bei früherem Feierabend

Anrechnung von Überstunden – diese Frage stellt sich vielen Beschäftigten, wenn sie ihre Arbeit schneller als geplant erledigen und vorzeitig nach Hause geschickt werden. Doch was ist rechtlich erlaubt, wenn der Chef trotzdem Überstunden abbauen will?

Frühzeitiges Arbeitsende durch Tourenplan

In der Praxis kommt es oft vor, dass ein LKW-Fahrer seine Touren schneller abarbeitet als geplant. Die Aufträge sind abgeschlossen, doch auf der Uhr fehlen noch 60 Minuten bis zum offiziellen Schichtende. Wird der Fahrer nun vom Vorgesetzten nach Hause geschickt – stellt sich die große Frage: Muss er dafür Überstunden hergeben?

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Weisungsrecht und Arbeitskraftangebot

Zunächst gilt: Der Arbeitgeber hat im Rahmen des sogenannten Weisungsrechts (§ 106 Gewerbeordnung) grundsätzlich die Möglichkeit, den Mitarbeiter früher nach Hause zu schicken. Die entscheidende rechtliche Frage ist aber, ob diese Zeit dann auf das Überstundenkonto angerechnet werden darf – oder ob es sich um Arbeitszeit handelt, die trotz vorzeitiger Heimkehr zu vergüten ist.

Annahmeverzug des Arbeitgebers

Wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft bis zum Schichtende ordnungsgemäß anbietet, spricht man vom sogenannten Annahmeverzug. In diesem Fall ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Lohn auch dann zu zahlen, wenn die Arbeit nicht geleistet wird – denn der Arbeitgeber nimmt das Angebot nicht an. Geregelt ist dies in § 615 Satz 1 BGB. Das bedeutet: Wird ein Fahrer gegen seinen Willen früher nach Hause geschickt, obwohl er arbeitsbereit ist, darf ihm die Zeit nicht als Überstundenabzug angerechnet werden.

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Ausnahme: Positives Überstundenkonto

Anders sieht es aus, wenn ein Zeitguthaben besteht und der Fahrer nicht widerspricht. Dann kann der Arbeitgeber verlangen, dass Stunden abgebaut werden – auch einseitig. Das bestätigt unter anderem die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 20. Mai 2009 – 5 AZR 103/08). Solche Konstellationen setzen aber voraus, dass der Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung oder ein Tarifvertrag dies erlaubt.

Kein Recht auf Horten von Überstunden

In vielen Fällen versuchen Arbeitnehmer, ein Überstundenpolster aufzubauen. Doch ein gesetzliches Recht auf das „Horten“ von Überstunden gibt es nicht. Arbeitgeber dürfen – bei entsprechender Regelung – auch ohne Einwilligung des Mitarbeiters die Rückführung anordnen. Voraussetzung ist jedoch Transparenz und Fairness bei der Umsetzung. Willkürliche Entscheidungen sind unzulässig.

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Sonderfall: Freistellung am Ende des Arbeitsverhältnisses

Besonders kritisch wird es, wenn der Arbeitnehmer sich in Freistellung befindet – etwa nach Kündigung. Hier wird oft versucht, Überstunden nicht auszuzahlen, obwohl der Arbeitsvertrag das vorsieht. Eine Freistellung unter Anrechnung von Zeitguthaben ist grundsätzlich zulässig, aber nur, wenn sie unwiderruflich erfolgt und klar dokumentiert wird. Dies bestätigt auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 17. Juli 2018 – 5 Sa 209/17).

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Bedeutung für die Praxis

Gerade im Transport- und Logistiksektor sind flexible Arbeitszeiten Alltag. Dennoch gilt: Wer regelmäßig vorzeitig nach Hause geschickt wird, ohne eigene Veranlassung, sollte genau prüfen, ob ihm dadurch tatsächlich Überstunden gestrichen werden dürfen. Eine rechtliche Beratung kann helfen, Ansprüche zu sichern – vor allem dann, wenn am Ende des Arbeitsverhältnisses eine Auszahlung verweigert wird.

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Fazit

Anrechnung von Überstunden bleibt ein sensibles Thema im Arbeitsrecht – besonders wenn Arbeitnehmer schneller mit ihrer Tagesaufgabe fertig sind. Entscheidend ist, ob der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft bis zum geplanten Schichtende angeboten hat oder ob ein Zeitkonto im Plus steht und der Abbau vertraglich geregelt ist. Wird ein Fahrer gegen seinen Willen nach Hause geschickt, ohne dass dafür eine klare Regelung vorliegt, liegt in vielen Fällen ein Annahmeverzug vor – und die Stunde muss bezahlt werden. Wenn jedoch ein positiver Stand auf dem Überstundenkonto vorhanden ist, kann der Arbeitgeber durchaus den Abbau anordnen, solange keine entgegenstehende Regelung besteht. Wer Klarheit schaffen will, sollte auf schriftliche Vereinbarungen und genaue Arbeitszeiterfassung achten. Letztlich ist Transparenz das beste Mittel gegen unnötige Konflikte.

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FAQ

Was bedeutet Annahmeverzug bei Anrechnung von Überstunden?

Annahmeverzug tritt ein, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft anbietet, der Arbeitgeber sie aber nicht annimmt – etwa durch vorzeitiges Heimschicken. In diesem Fall muss die ausgefallene Zeit vergütet werden. Bei der Anrechnung von Überstunden darf also keine Stunde abgezogen werden, wenn der Arbeitnehmer bereit war, weiterzuarbeiten.

Darf ein Arbeitgeber jederzeit Überstunden abbauen lassen?

Nur wenn ein Überstundenkonto im Plus ist und keine tariflichen oder vertraglichen Regelungen dagegensprechen. Dann ist eine Anrechnung von Überstunden grundsätzlich zulässig. Der Arbeitgeber darf jedoch nicht willkürlich handeln – eine gewisse Ankündigungsfrist oder transparente Absprache ist erforderlich.

Gilt Anrechnung von Überstunden auch bei Freistellung?

Ja, aber nur unter bestimmten Bedingungen. Die Freistellung muss unwiderruflich sein und klar regeln, ob Überstunden, Urlaub oder anderes Zeitguthaben angerechnet wird. Ist das nicht eindeutig dokumentiert, kann es im Nachhinein zu Rechtsstreitigkeiten kommen.

Gibt es ein Recht auf Auszahlung von Überstunden?

Wenn das Arbeitsverhältnis endet und Überstunden nicht durch Freizeit abgegolten werden können, besteht in der Regel ein Anspruch auf Auszahlung. Voraussetzung ist, dass diese Stunden ordnungsgemäß erfasst und anerkannt sind. Die Anrechnung von Überstunden muss dabei transparent erfolgen.

Wie kann ich mich vor ungerechter Anrechnung von Überstunden schützen?

Am besten durch eine klare Zeiterfassung und schriftliche Regelungen im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung. Wenn unklar ist, ob eine Stunde als Anrechnung von Überstunden gilt oder nicht, sollte dies sofort mit dem Arbeitgeber geklärt werden – idealerweise schriftlich. Ein Blick in § 615 BGB und einschlägige Urteile hilft bei der eigenen Einschätzung.

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