Arbeitsfähig aber nicht reisefähig – 3 Fakten

Arbeitsfähig aber nicht reisefähig – diese ungewöhnliche Situation sorgt in vielen Unternehmen für Unsicherheit. Arbeitnehmer können von zu Hause aus voll leistungsfähig arbeiten, sind aber aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, den Weg ins Büro anzutreten. Doch welche rechtlichen Folgen hat das und wie können Betroffene ihre Position stärken?

Fallbeispiel eines Mitarbeiters

Ein Mitarbeiter leidet an einer chronischen Magenerkrankung. Ärztlich wird bestätigt, dass er seine Büroarbeit zu 100 Prozent aus dem Homeoffice erbringen kann, jedoch dauerhaft nicht reisefähig ist. Sein Arbeitgeber verlangt jedoch gemäß einer internen Vereinbarung eine Mindestpräsenz von zwei Tagen im Monat im Büro. Der Betriebsarzt lehnt eine Befreiung ab mit der Begründung, dass der Arbeitsweg in die private Verantwortung des Arbeitnehmers falle. Hier entsteht die Frage, ob eine Kündigung drohen kann, obwohl der Arbeitnehmer keine Fehlzeiten hat und seine Aufgaben vollständig erfüllt.

Abgrenzung von Arbeitsunfähigkeit und Reisefähigkeit

Juristisch wird unterschieden zwischen Arbeitsunfähigkeit und der Fähigkeit, den Arbeitsplatz zu erreichen. Nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) gilt ein Arbeitnehmer als arbeitsunfähig, wenn er aufgrund einer Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit nicht ausführen kann. Doch was passiert, wenn die Tätigkeit an sich möglich ist, der Weg dorthin aber nicht? Einige Gerichte haben hierzu die sogenannte Wegeunfähigkeitsbescheinigung anerkannt. Diese bestätigt, dass zwar Arbeitsfähigkeit vorliegt, aber der Arbeitsweg nicht zumutbar oder möglich ist.

Rolle des Betriebsarztes

Der Betriebsarzt beurteilt in der Regel nur die Eignung des Arbeitnehmers zur Ausübung der Tätigkeit am Arbeitsplatz. Der Weg zur Arbeit fällt klassisch nicht in seine Zuständigkeit. Dennoch kommt es in der Praxis vor, dass Unternehmen diese Sichtweise übernehmen und Anträge auf Befreiung von Präsenzpflichten ablehnen. Die Frage, ob dies rechtlich haltbar ist, hängt stark vom Einzelfall ab. Besonders wenn mehrere Fachärzte eine dauerhafte Reiseunfähigkeit bescheinigen, kann sich ein Konflikt mit den arbeitsvertraglichen Vorgaben ergeben.

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Rechtliche Rahmenbedingungen

Die rechtliche Bewertung hängt davon ab, ob die Arbeitsverträge oder Betriebsvereinbarungen eine Präsenzpflicht ausdrücklich vorsehen. Liegt eine solche Pflicht vor, ist die Nichterfüllung grundsätzlich ein Vertragsverstoß. Allerdings greift hier auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn die Reiseunfähigkeit als Behinderung im Sinne des § 1 AGG zu werten ist. Dann müsste der Arbeitgeber prüfen, ob eine angemessene Vorkehrung – etwa vollständiges Homeoffice – als zumutbare Anpassung möglich ist.

Kündigungsschutz und Diskriminierung

Ein Arbeitnehmer, der dauerhaft reisunfähig ist, darf nicht allein aus diesem Grund gekündigt werden, wenn die Tätigkeit vollständig im Homeoffice erbracht werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Entscheidungen betont, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, bei gesundheitlichen Einschränkungen nach milderen Mitteln zu suchen, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird (vgl. BAG, Urteil vom 13.05.2015 – 2 AZR 565/14). Eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses wäre in einem solchen Fall vermutlich unwirksam.

Möglichkeiten für Arbeitnehmer

Arbeitnehmer können zunächst versuchen, über den Betriebsrat oder die Schwerbehindertenvertretung Unterstützung zu erhalten. Bei anerkannter Behinderung kann zudem das Integrationsamt eingeschaltet werden, um eine Lösung zu finden. Auch ein Antrag auf Gleichstellung nach § 2 Abs. 3 SGB IX kann helfen, besonderen Kündigungsschutz zu erlangen. Nicht zuletzt kann eine Klärung über eine einvernehmliche Vertragsänderung erfolgen, bei der die Präsenzpflicht aufgehoben oder reduziert wird.

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Praktische Lösungsansätze

Ein möglicher Weg ist die Vorlage einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber. Diese ärztliche Bestätigung ist nicht identisch mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und bescheinigt ausdrücklich die fehlende Reisefähigkeit. Mehrere Landesarbeitsgerichte haben die Wirksamkeit solcher Bescheinigungen bestätigt. Zusätzlich können Betroffene prüfen, ob technische oder organisatorische Anpassungen möglich sind, etwa die vollständige Digitalisierung von Arbeitsprozessen oder regelmäßige Videokonferenzen anstelle persönlicher Präsenz.

Rolle des Integrationsamtes

Wenn eine Behinderung vorliegt, ist das Integrationsamt verpflichtet, den Arbeitsplatz zu sichern und Lösungen gemeinsam mit Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erarbeiten. Dazu gehören etwa Arbeitsplatzumbauten oder eine Anpassung der Arbeitsorganisation. Für viele Betroffene ist dies der entscheidende Schritt, um eine Kündigung zu vermeiden und gleichzeitig weiterhin im Unternehmen tätig zu bleiben.

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Fazit

Die Situation „arbeitsfähig aber nicht reisefähig“ zeigt deutlich, wie komplex die Schnittstelle zwischen Gesundheit und Arbeitsrecht geworden ist. Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit vollständig im Homeoffice erbringen können, dürfen nicht automatisch ihren Arbeitsplatz verlieren, nur weil eine Präsenzpflicht besteht. Arbeitgeber müssen prüfen, ob eine Anpassung des Arbeitsvertrages oder eine Ausnahme möglich ist, besonders wenn gesundheitliche Einschränkungen oder sogar eine Behinderung vorliegen. Gleichzeitig sind Arbeitnehmer gut beraten, ihre Situation klar zu dokumentieren, ärztliche Bescheinigungen vorzulegen und Unterstützung durch den Betriebsrat oder das Integrationsamt einzuholen. Letztlich hängt vieles vom Einzelfall ab, doch rechtlich bestehen durchaus Chancen, die Position zu sichern, wenn Arbeitsfähigkeit trotz fehlender Reisefähigkeit gegeben ist.

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FAQ

Was bedeutet arbeitsfähig aber nicht reisefähig genau?

Es bedeutet, dass ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit am Computer oder im Homeoffice vollständig ausüben kann, gesundheitlich aber nicht in der Lage ist, den Arbeitsweg ins Büro zu bewältigen.

Droht eine Kündigung bei fehlender Reisefähigkeit?

Eine Kündigung ist nicht automatisch wirksam. Wenn die Tätigkeit im Homeoffice ohne Einschränkung erledigt werden kann, müssen Arbeitgeber zunächst prüfen, ob Anpassungen möglich sind.

Welche Rolle spielt der Betriebsarzt?

Der Betriebsarzt beurteilt in der Regel nur die Eignung am Arbeitsplatz. Für die Beurteilung des Arbeitswegs ist er nicht zuständig, auch wenn Arbeitgeber dies manchmal anders sehen.

Kann eine Wegeunfähigkeitsbescheinigung helfen?

Ja, eine ärztliche Bescheinigung über die fehlende Reisefähigkeit kann die Situation klarstellen und wird von Gerichten zunehmend anerkannt.

Welche rechtlichen Grundlagen sind relevant?

Wichtig sind das Entgeltfortzahlungsgesetz (§ 3 EntgFG) sowie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn eine Behinderung vorliegt. Auch Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts betonen die Pflicht zu milderen Mitteln vor einer Kündigung.

Was können Arbeitnehmer konkret tun?

Sie sollten ärztliche Atteste sammeln, den Betriebsrat einbeziehen und prüfen, ob Unterstützung durch das Integrationsamt möglich ist. Auch eine Vertragsänderung kann eine Lösung sein.

Gilt fehlende Reisefähigkeit automatisch als Arbeitsunfähigkeit?

Nicht unbedingt. Wenn die Tätigkeit von zu Hause aus ohne Einschränkung möglich ist, liegt streng genommen keine Arbeitsunfähigkeit im klassischen Sinn vor.

Welche Bedeutung hat das AGG in diesem Zusammenhang?

Wenn die Reiseunfähigkeit als Behinderung gilt, greift das Diskriminierungsverbot. Arbeitgeber müssen dann angemessene Vorkehrungen treffen, um den Arbeitsplatz zu erhalten.

Ist dauerhafte Arbeit im Homeoffice rechtlich durchsetzbar?

Es gibt keinen automatischen Anspruch. Aber wenn medizinische Gründe vorliegen, kann eine Anpassung über Einigung mit dem Arbeitgeber oder mithilfe des Integrationsamts erreicht werden.

Wie oft muss das Stichwort arbeitsfähig aber nicht reisefähig fallen?

Es sollte nicht künstlich überbetont werden. Entscheidend ist, dass es sinnvoll eingebettet wird, damit der rechtliche Kontext klar und verständlich bleibt.

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