Insolvenz in Eigenverantwortung: Kündigung ohne Verfahren?

Insolvenz in Eigenverantwortung ist ein Begriff, der viele Fragen aufwirft – besonders dann, wenn keine offizielle Eröffnung erfolgt, aber trotzdem gekündigt wird. Wer zahlt dann das Gehalt? Was ist mit Krankengeld und Kündigungsfrist? Genau diesen Verwirrungen gehen wir heute auf den Grund.

Kündigung trotz nicht eröffneter Insolvenz

Die Situation, über die berichtet wurde, wirkt auf den ersten Blick paradox. Das Unternehmen spricht von einer „Insolvenz in Eigenverantwortung“, doch ein offizielles Insolvenzverfahren wurde nicht eröffnet. Dennoch erhielten zahlreiche Mitarbeiter Kündigungen. Wie ist das rechtlich einzuordnen?

Unklare Kommunikation des Arbeitgebers

Zunächst fällt auf: Die Unternehmensleitung spricht einerseits von Insolvenz, andererseits bestreitet sie diese gegenüber Behörden wie dem Landeswohlfahrtsverband. Dieser Widerspruch hat Konsequenzen, insbesondere für die Gültigkeit von Kündigungen und die Frage, wer in der Kündigungsfrist zahlen muss.

Kündigungen mit Freistellung

Mitarbeiter wurden zum 01.05.2025 gekündigt, manche mit bis zu drei Monaten Kündigungsfrist, jedoch ohne Gehaltszahlungen. Eine Freistellung allein entbindet den Arbeitgeber jedoch nicht von der Zahlungspflicht. Nach § 615 BGB muss der Arbeitgeber grundsätzlich auch bei Freistellung das Gehalt weiterzahlen – es sei denn, eine Zahlungsunfähigkeit wäre nachgewiesen.

Kündigungsschutz bei Gleichstellung oder GdB

Besonders kritisch ist die Situation für Mitarbeiter mit einem Grad der Behinderung (GdB) oder Gleichstellung. In diesen Fällen ist gemäß § 168 SGB IX vor jeder Kündigung die Zustimmung des Integrationsamts erforderlich. Eine Kündigung ohne diese Zustimmung ist unwirksam.

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Insolvenzgeld trotz fehlender Insolvenzeröffnung?

Eine besonders verwirrende Frage ist die nach dem Insolvenzgeld: Kann dieses ausgezahlt werden, obwohl das Insolvenzverfahren gar nicht eröffnet wurde?

Definition und Voraussetzungen des Insolvenzgeldes

Das Insolvenzgeld wird gemäß § 165 SGB III gewährt, wenn der Arbeitgeber zahlungsunfähig ist und kein Gehalt mehr zahlt. Es ersetzt rückwirkend für bis zu drei Monate den Nettoverdienst. Voraussetzung ist jedoch, dass ein sogenannter Insolvenzereignisfall vorliegt – das kann auch die Einstellung der Betriebstätigkeit sein, selbst ohne formelle Insolvenzeröffnung.

Prüfung durch die Agentur für Arbeit

Die Agentur für Arbeit prüft in solchen Fällen die tatsächliche Zahlungseinstellung und andere Indikatoren für eine faktische Insolvenz. Das bedeutet: Auch wenn formal kein Verfahren läuft, kann ein Anspruch bestehen, wenn objektiv gesehen Insolvenzbedingungen erfüllt sind.

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Lohnfortzahlung im Krankheitsfall

Ein weiteres Thema betrifft die Frage, wer das Gehalt zahlt, wenn man während einer „Insolvenz in Eigenverantwortung“ krankgeschrieben ist.

Fortzahlungspflicht durch Arbeitgeber

Nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, bis zu sechs Wochen das volle Gehalt weiterzuzahlen, wenn die Krankheit arbeitsunfähig macht. Das gilt auch bei einer beabsichtigten, aber nicht eröffneten Insolvenz – solange das Arbeitsverhältnis nicht rechtswirksam beendet wurde.

Übergang in das Krankengeld

Nach Ablauf der sechs Wochen springt die Krankenkasse ein und zahlt Krankengeld in Höhe von etwa 70 % des Brutto-, jedoch maximal 90 % des Nettoarbeitsentgelts. Die Differenz zum ursprünglichen Nettolohn wird nur dann übernommen, wenn es sich tatsächlich um eine Insolvenz handelt und Insolvenzgeld bewilligt wurde – was in diesem Fall unklar bleibt.

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Wer zahlt ohne Insolvenzverfahren?

Eine der zentralen Fragen: Wenn es keine Insolvenz gibt, aber auch keine Gehaltszahlung mehr erfolgt – wer trägt dann die Verantwortung?

Arbeitgeber bleibt grundsätzlich in der Pflicht

Solange kein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und keine Zahlungsunfähigkeit offiziell festgestellt ist, bleibt der Arbeitgeber grundsätzlich zahlungspflichtig. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, das Gehalt einfach einzubehalten, selbst wenn im Hintergrund Restrukturierungsprozesse laufen.

Ansprüche bei Zahlungsunfähigkeit

Stellt sich später heraus, dass der Arbeitgeber zahlungsunfähig war, kann rückwirkend ein Anspruch auf Insolvenzgeld entstehen. Wichtig ist daher, alle Unterlagen, Arbeitsverträge, Krankmeldungen und Schriftverkehr zu sichern und dokumentieren.

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Verhalten bei unklarer Lage

Gerade in solch chaotischen Unternehmensphasen ist es entscheidend, nicht in Passivität zu verfallen.

Rechtsberatung suchen

Ein frühzeitiger Gang zur Rechtsantragsstelle des Arbeitsgerichts kann sinnvoll sein. Dort kann auch ohne Anwalt Klage eingereicht werden – zum Beispiel auf Lohnzahlung oder gegen eine unzulässige Kündigung.

Gleichstellung schützen

Für Personen mit Gleichstellung oder GdB ist die Zustimmung des Integrationsamts zwingend erforderlich. Wird eine Kündigung ohne diese Zustimmung ausgesprochen, kann man sich relativ einfach erfolgreich wehren. Eine schriftliche Ablehnung dieser Zustimmung muss vorliegen, bevor eine Kündigung rechtlich wirksam wird.

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Soziale Auswahl bei betriebsbedingter Kündigung

Die Frage nach einer eventuellen Sammelklage wurde mehrfach gestellt. Auch wenn es in Deutschland keine „Sammelklagen“ im US-amerikanischen Sinne gibt, gibt es dennoch Möglichkeiten, gemeinsam vorzugehen.

Sozialauswahl und Betriebszugehörigkeit

Wird nur ein Teil der Belegschaft entlassen, muss laut § 1 Abs. 3 KSchG eine sogenannte Sozialauswahl getroffen werden. Dabei sind Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung zu berücksichtigen. Erfolgt diese Auswahl nicht korrekt, kann die Kündigung unwirksam sein.

Gemeinsames Vorgehen mit Anwalt

Auch wenn keine formelle Sammelklage existiert, kann eine Gruppe von Arbeitnehmern denselben Anwalt beauftragen, um mehrere Verfahren parallel zu führen. Manche Arbeitsgerichte bündeln solche Fälle zur besseren Übersicht.

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Rechtliche Grauzonen in der Eigenverwaltung

Die Eigenverwaltung bietet Sanierungsmöglichkeiten, führt aber auch zu rechtlichen Grauzonen – vor allem, wenn formelle Verfahren bewusst vermieden werden.

Verantwortlichkeiten der Geschäftsführung

Die Geschäftsleitung muss auch bei der Eigenverwaltung gesetzliche Pflichten einhalten. Dazu gehört insbesondere die ordnungsgemäße Durchführung von Kündigungen, die Einhaltung der Kündigungsfristen und die korrekte Abwicklung von Gehaltszahlungen.

Prüfung möglicher Insolvenzverschleppung

Sollte sich herausstellen, dass der Geschäftsführer trotz offensichtlicher Zahlungsunfähigkeit kein Insolvenzverfahren beantragt hat, liegt möglicherweise eine Insolvenzverschleppung vor – eine Straftat nach § 15a InsO.

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Fazit

Die Situation rund um eine angebliche Insolvenz in Eigenverantwortung ohne tatsächliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wirft nicht nur juristisch, sondern auch menschlich viele Fragen auf. Wer arbeitsrechtlich in der Schwebe hängt, ohne Klarheit über Kündigungsfristen, Gehaltsansprüche oder die eigene Sozialversicherung zu haben, fühlt sich zu Recht ohnmächtig. Wichtig ist: Solange keine formelle Insolvenz eröffnet wurde, bleibt der Arbeitgeber verpflichtet, Gehälter zu zahlen – auch bei Freistellung. Für schwerbehinderte oder gleichgestellte Arbeitnehmer besteht ein besonderer Kündigungsschutz. Zudem kann das Insolvenzgeld unter bestimmten Voraussetzungen auch ohne eröffnetes Verfahren beantragt werden, sofern eine faktische Zahlungsunfähigkeit vorliegt.

Wer also in einem solchen Umfeld betroffen ist, sollte frühzeitig Beweise sichern, professionelle Hilfe aufsuchen und die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. Auch wenn die Insolvenz in Eigenverantwortung in der Theorie einen geordneten Neustart ermöglichen soll, darf sie nicht dazu missbraucht werden, um arbeitsrechtliche Pflichten zu umgehen. Die Rechte der Arbeitnehmer bestehen – und sie verdienen es, verteidigt zu werden.

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FAQ

Muss ein Insolvenzverfahren offiziell eröffnet sein, damit ich Insolvenzgeld bekomme?

Nein, ein förmliches Insolvenzverfahren ist keine zwingende Voraussetzung. Es reicht aus, wenn eine faktische Zahlungsunfähigkeit nachweisbar ist, zum Beispiel durch ausbleibende Gehaltszahlungen. In solchen Fällen kann die Agentur für Arbeit auch bei einer sogenannten „faktischen Insolvenz“ Insolvenzgeld bewilligen. Das betrifft viele Fälle von Insolvenz in Eigenverantwortung.

Was passiert, wenn ich während der Kündigungsfrist freigestellt werde?

Die Freistellung entbindet den Arbeitgeber nicht von der Pflicht zur Gehaltszahlung. Nach § 615 BGB ist der Lohn auch bei Nichtbeschäftigung weiterzuzahlen, solange der Arbeitgeber in Annahmeverzug ist. Das gilt auch in der Phase einer angeblichen Insolvenz in Eigenverantwortung, sofern keine offizielle Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde.

Ich bin krankgeschrieben – wer zahlt jetzt mein Geld?

Wenn du innerhalb eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses krank wirst, zahlt der Arbeitgeber in den ersten sechs Wochen den Lohn weiter (§ 3 EFZG). Nach dieser Zeit springt die Krankenkasse mit Krankengeld ein. Nur bei offiziell anerkannter Insolvenz kann es zu einer speziellen Aufteilung kommen – ist diese nicht eröffnet, gelten die normalen Regeln.

Welche Schutzrechte habe ich als gleichgestellter Arbeitnehmer?

Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung dürfen laut § 168 SGB IX nur mit Zustimmung des Integrationsamts gekündigt werden. Eine Kündigung ohne diese Zustimmung ist unwirksam – selbst in einem vermeintlich „insolventen“ Unternehmen. Dieses Schutzrecht gilt auch während einer Insolvenz in Eigenverantwortung.

Was bedeutet eigentlich „Insolvenz in Eigenverantwortung“ genau?

Das Verfahren nach §§ 270 ff. InsO erlaubt es dem Schuldner, das Unternehmen unter Aufsicht eines Sachwalters selbst zu sanieren. Es ersetzt jedoch kein vollständiges Insolvenzverfahren, solange dieses nicht offiziell eröffnet wird. Ohne Eröffnung greifen viele insolvenzrechtliche Schutzmechanismen nicht automatisch – das führt in der Praxis oft zu rechtlicher Grauzone.

Können wir als Gruppe gegen die Kündigungen vorgehen?

In Deutschland gibt es keine echte Sammelklage wie in den USA. Aber mehrere Betroffene können denselben Anwalt beauftragen und vergleichbare Klagen beim Arbeitsgericht einreichen. Diese können gebündelt werden – besonders dann, wenn die Sozialauswahl fehlerhaft durchgeführt wurde.

Was ist, wenn mein Arbeitgeber behauptet, dass kein Geld mehr da ist?

Solange keine offizielle Zahlungsunfähigkeit nachgewiesen oder ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde, ist diese Aussage rechtlich nicht ausreichend. Der Arbeitgeber bleibt zur Zahlung verpflichtet. Kommt er dem nicht nach, kann man vor dem Arbeitsgericht klagen oder rückwirkend Insolvenzgeld beantragen – besonders häufig bei Insolvenz in Eigenverantwortung relevant.

Wie finde ich heraus, ob wirklich ein Insolvenzverfahren läuft?

Eine offizielle Insolvenz wird in der Regel im Insolvenzregister (§ 9 InsO) veröffentlicht. Wer Zweifel hat, kann dort nach dem Firmennamen suchen. Keine Eintragung? Dann gibt es formal auch keine Eröffnung – was für die Durchsetzung von Gehaltsansprüchen entscheidend sein kann.

Ist es sinnvoll, einen Anwalt einzuschalten?

Wenn es um Gehalt, Kündigungsschutz oder Sozialauswahl geht: ja. Oft kann schon ein Schreiben vom Anwalt viel bewirken. Wenn du dir das nicht leisten kannst, kannst du auch bei der Rechtsantragsstelle deines Arbeitsgerichts ohne Anwalt Klage einreichen.

Was passiert, wenn der Geschäftsführer bewusst keine Insolvenz anmeldet?

In dem Fall droht ihm persönlich eine Anzeige wegen Insolvenzverschleppung (§ 15a InsO). Das ist eine Straftat und kann auch zivilrechtlich Konsequenzen haben, insbesondere wenn dadurch Arbeitnehmerrechte verletzt wurden. Ein klarer Hinweis darauf: monatelang keine Gehälter mehr, aber weiterhin Geschäftsbetrieb.

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