Wenn ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, stehen Arbeitnehmer oft vor einer existenziellen Unsicherheit – insbesondere, wenn sie zwar gekündigt, aber noch freigestellt sind. Die Frage, ob in dieser Freistellungsphase trotz Insolvenz eine Lohnzahlung erfolgen muss, sorgt regelmäßig für Verwirrung. Besonders kompliziert wird es, wenn der Insolvenzverwalter erst später die Masseunzulänglichkeit anzeigt. In diesem Beitrag beleuchten wir anhand eines typischen Falls, was rechtlich gilt und welche Handlungsmöglichkeiten Arbeitnehmer haben.
Kündigung während Insolvenz – ein typischer Fall
Ein Arbeitnehmer berichtet, dass sein Arbeitgeber im Januar 2025 Insolvenz anmeldete. Die Fortführung des Betriebs wurde ausgeschlossen, weshalb alle Mitarbeiter zu Ende Januar freigestellt wurden. Dennoch läuft die Kündigungsfrist nach § 622 BGB noch bis Ende April 2025. Während das Gehalt für Januar noch ausgezahlt wurde, blieb die Zahlung für Februar aus. Der Insolvenzverwalter begründete dies mit einer drohenden Masseunzulänglichkeit, die jedoch erst im März beim Gericht angezeigt wurde. Die zentrale Frage: Hätte der Februarlohn noch gezahlt werden müssen?
Rechtslage zur Kündigungsfrist und Freistellung
Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Arbeitnehmer trotz Kündigung weiter Anspruch auf Gehalt hat, wenn die Kündigungsfrist noch läuft. Das gilt insbesondere bei unwiderruflicher Freistellung. Denn hier bleibt der Lohnanspruch bestehen, auch wenn keine Arbeitsleistung mehr erbracht werden muss. Diese Regelung ergibt sich aus § 615 Satz 1 BGB. Eine einseitige Freistellung durch den Insolvenzverwalter ändert daran nichts – es sei denn, es liegt ein wirksamer arbeitsvertraglicher Freistellungsvorbehalt vor, der häufig fehlt.
Insolvenz und Masseunzulänglichkeit – was bedeutet das?
Wenn ein Unternehmen Insolvenz anmeldet, übernimmt der Insolvenzverwalter die Verwaltung der Insolvenzmasse. Diese umfasst alles wirtschaftlich Verwertbare. Sobald er erkennt, dass die Masse nicht einmal ausreicht, um die sogenannten Masseverbindlichkeiten zu decken – also insbesondere Löhne nach Insolvenzeröffnung –, muss er gemäß § 208 InsO Masseunzulänglichkeit anzeigen.
Diese Anzeige hat erhebliche rechtliche Folgen: Masseverbindlichkeiten können ab diesem Zeitpunkt nicht mehr uneingeschränkt bedient werden. Wichtig ist jedoch: Eine solche Anzeige entfaltet ihre rechtliche Wirkung erst ab dem Zeitpunkt, an dem sie beim Insolvenzgericht eingeht – nicht rückwirkend.
Arbeitszeugnis Bewertung richtig verstehen 👆Zeitpunkt der Masseunzulänglichkeit entscheidend
Die entscheidende Frage lautet also: Gilt die Anzeige der Masseunzulänglichkeit rückwirkend für den Zeitraum davor? Die Antwort ist ein klares Nein.
Wirkung der Anzeige beim Gericht
Die Anzeige der Masseunzulänglichkeit ist ein formeller Vorgang. Erst mit Eingang beim Insolvenzgericht ist sie wirksam. Damit verbunden ist eine Priorisierung der Masseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 1 InsO). Verbindlichkeiten, die vor diesem Zeitpunkt fällig wurden, genießen Vorrang und sind grundsätzlich noch vollständig zu begleichen – sofern die Masse es zulässt.
Februarlohn ist Masseverbindlichkeit
Die Lohnforderung für Februar ist am 28. Februar fällig geworden – also vor dem 07. März, dem Tag der Anzeige. Damit handelt es sich rechtlich um eine Masseverbindlichkeit, die vor der Anzeige entstanden ist. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO sind Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die Zeit nach Insolvenzeröffnung genau solche Masseverbindlichkeiten. Diese sind vom Insolvenzverwalter vorrangig zu bedienen, solange die Masse ausreicht.
Insolvenzverwalter in der Pflicht?
Wenn der Insolvenzverwalter bereits im Februar wusste, dass die Masse nicht reichen wird, ist er verpflichtet, die Anzeige unverzüglich vorzunehmen. Versäumt er dies, kann unter Umständen eine persönliche Haftung entstehen – etwa aus § 60 InsO. Das setzt jedoch voraus, dass ihm grobe Pflichtverletzungen nachgewiesen werden können. In der Praxis ist dieser Nachweis jedoch äußerst schwer zu führen.
Zeitarbeitsfirma Kündigung Rechte bei Einsatzende 👆Wann endet der Lohnanspruch?
Auch wenn der Lohn grundsätzlich während der Freistellung zu zahlen ist, gibt es eine klare Grenze: Wenn Masseunzulänglichkeit angezeigt wird, ist ab diesem Zeitpunkt die Zahlungspflicht des Insolvenzverwalters auf ein Mindestmaß beschränkt. Neue Verbindlichkeiten dürfen nach § 209 InsO nur noch im Rahmen der zur Verfügung stehenden Masse erfüllt werden.
Keine Rückwirkung auf frühere Ansprüche
Für den konkreten Fall bedeutet das: Der Insolvenzverwalter ist nicht berechtigt, den Februarlohn mit Verweis auf die erst im März angezeigte Masseunzulänglichkeit zu verweigern. Denn zu dem Zeitpunkt, an dem der Lohn fällig wurde, war die Anzeige noch nicht erfolgt. Die Berufung auf eine erst später eingereichte Anzeige ist daher rechtlich nicht haltbar.
Was tun bei verweigerter Lohnzahlung?
Betroffene sollten ihren Lohnanspruch schriftlich gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen. Wichtig ist hierbei, den Zeitpunkt der Fälligkeit und den Eingang der Anzeige der Masseunzulänglichkeit genau zu dokumentieren. Sollte keine Zahlung erfolgen, kann eine Klage vor dem Arbeitsgericht in Betracht gezogen werden.
Lohnabzug Firmenwagen Schweden rechtens? 👆Praktische Handlungsoptionen für Arbeitnehmer
Die Theorie ist das eine – doch wie geht man konkret vor, wenn das Gehalt ausbleibt?
Schriftliche Geltendmachung mit Frist
Zunächst sollte eine schriftliche Zahlungsaufforderung erfolgen. Dabei sollte auf § 55 InsO verwiesen und eine angemessene Frist gesetzt werden – meist sind sieben bis vierzehn Tage üblich. Diese Fristsetzung ist wichtig, um bei weiterer Verweigerung rechtliche Schritte einzuleiten.
Klage vor dem Arbeitsgericht
Bleibt die Zahlung aus, kann Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben werden. In der Regel sind Arbeitsgerichte für solche Masseverbindlichkeiten zuständig. Dabei ist wichtig, dass der Kläger konkret darlegt, dass der Anspruch vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden ist. Gerichtliche Verfahren in solchen Fällen dauern meist nicht lange, da es sich um eindeutige Rechtsfragen handelt.
Unterstützung durch Gewerkschaften oder Fachanwälte
Gerade in Insolvenzverfahren sind Gewerkschaften oft ein wertvoller Ansprechpartner. Sie verfügen über spezialisierte Juristen, die auch in schwierigen Fällen weiterhelfen können. Alternativ ist die Konsultation eines Fachanwalts für Arbeitsrecht sinnvoll, vor allem wenn größere Lohnforderungen im Raum stehen.
Arzttermin Arbeitszeit Gleitzeit: Was gilt? 👆Grenzen der Anspruchsdurchsetzung
So klar die Rechtslage in vielen Punkten ist – manchmal stehen praktische Hürden im Weg. Was also tun, wenn trotz Anspruch einfach kein Geld mehr da ist?
Verteilungsmasse erschöpft
Ist die Insolvenzmasse tatsächlich erschöpft, kann auch ein erfolgreicher Gerichtsprozess keinen Zahlungserfolg bringen. Die Durchsetzung bleibt dann rein theoretisch – das Urteil ist „nackt“, wie Juristen sagen. In solchen Fällen hilft manchmal nur noch, das Verfahren über das Insolvenzgeld zu prüfen, auch wenn dieser Anspruch nur für rückständige Löhne vor Insolvenzeröffnung gilt (§ 165 SGB III).
Persönliche Haftung des Insolvenzverwalters
Eine denkbare Option ist die persönliche Haftung des Verwalters gemäß § 60 InsO. Diese setzt jedoch eine grob fahrlässige Pflichtverletzung voraus. Ob das im konkreten Fall gegeben ist, muss im Einzelfall sehr genau geprüft werden – idealerweise durch einen spezialisierten Anwalt.
Bezahlung Leerfahrten Schülerbeförderung rechtens? 👆Fazit
Bei Insolvenz und gleichzeitiger Freistellung stellt sich schnell die Frage nach der Lohnzahlung – und zwar zurecht. Denn viele Arbeitnehmer gehen davon aus, dass mit der Freistellung automatisch auch der Anspruch auf Lohn entfällt. Doch das ist ein Irrtum: Gerade bei unwiderruflicher Freistellung innerhalb der Kündigungsfrist bleibt der Anspruch auf Arbeitsentgelt bestehen. Entscheidend ist dabei der Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit. Wird der Lohn – wie im vorliegenden Fall – vor dieser Anzeige fällig, handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit, die grundsätzlich noch zu begleichen ist. Der Insolvenzverwalter darf sich nicht auf eine rückwirkende Wirkung der Anzeige berufen. Wer sich in dieser Situation befindet, sollte nicht zögern, seine Ansprüche geltend zu machen und – wenn nötig – auch gerichtliche Schritte einleiten. Die rechtlichen Regelungen, insbesondere § 55 InsO und § 209 InsO, geben hier eine klare Richtung vor. Für Betroffene ist es daher ratsam, sich frühzeitig über ihre Rechte zu informieren und professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. So lässt sich vermeiden, dass man trotz bestehender Lohnansprüche am Ende leer ausgeht.
BEM-Gespräch Arbeitsunfähigkeit Therapieplatz 👆FAQ
Muss mein Lohn während der Freistellung gezahlt werden?
Ja, auch bei Freistellung bleibt der Lohnanspruch grundsätzlich bestehen. Das gilt besonders bei einer unwiderruflichen Freistellung im Rahmen der Kündigungsfrist. Der Arbeitgeber bzw. Insolvenzverwalter ist verpflichtet, das Gehalt weiterzuzahlen, solange keine wirksame Anzeige der Masseunzulänglichkeit erfolgt ist.
Was bedeutet Masseunzulänglichkeit genau?
Masseunzulänglichkeit liegt vor, wenn die Insolvenzmasse nicht ausreicht, um die sogenannten Masseverbindlichkeiten zu decken – also zum Beispiel Gehälter nach Insolvenzeröffnung. In diesem Fall muss der Insolvenzverwalter das Gericht darüber informieren (§ 208 InsO).
Ab wann wirkt die Anzeige der Masseunzulänglichkeit?
Die Anzeige wird erst ab Eingang beim Insolvenzgericht wirksam – nicht rückwirkend. Löhne, die vor diesem Zeitpunkt fällig geworden sind, gelten als Masseverbindlichkeiten und müssen grundsätzlich noch gezahlt werden.
Kann der Insolvenzverwalter sich auf die spätere Anzeige berufen?
Nein, der Insolvenzverwalter darf den Lohn für den Zeitraum vor der Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht verweigern. Der Lohn für diesen Zeitraum ist eine Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 InsO.
Was kann ich tun, wenn der Insolvenzverwalter nicht zahlt?
Sie sollten Ihre Lohnforderung schriftlich geltend machen und dem Insolvenzverwalter eine Frist setzen. Erfolgt keine Zahlung, kann Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden. Wichtig ist, dass Sie den Zeitpunkt der Fälligkeit genau dokumentieren.
Gibt es Fristen für die Geltendmachung?
Eine feste gesetzliche Frist für die Geltendmachung der Masseverbindlichkeit gibt es nicht, allerdings sollten Ansprüche zeitnah geltend gemacht werden, um Verjährung oder insolvenzrechtliche Ausschlussfristen zu vermeiden.
Kann ich Insolvenzgeld beantragen?
Insolvenzgeld gemäß § 165 SGB III gibt es nur für rückständige Löhne vor der Insolvenzeröffnung, nicht für Löhne, die während der Insolvenzphase fällig wurden. Für die Zeit nach Eröffnung bleibt nur der Weg über die Masse oder Klage.
Was passiert, wenn die Masse wirklich nicht mehr reicht?
Dann bleibt auch ein durchsetzbarer Anspruch oft ohne wirtschaftlichen Erfolg. Das Gericht kann zwar ein Urteil zugunsten des Arbeitnehmers fällen, aber ohne verwertbare Masse kann dieses nicht vollstreckt werden.
Gibt es eine Möglichkeit, den Insolvenzverwalter persönlich haftbar zu machen?
Ja, bei grober Pflichtverletzung kann der Insolvenzverwalter gemäß § 60 InsO persönlich haften. Die Hürden sind jedoch hoch, und ein Nachweis ist schwer zu führen.
Spielt es eine Rolle, ob ich gewerkschaftlich organisiert bin?
Ja, denn viele Gewerkschaften bieten juristischen Beistand und haben Erfahrung mit Insolvenzverfahren. Sie können bei der Durchsetzung der Lohnansprüche helfen – besonders bei der Klage wegen Lohnzahlung in Freistellung.
Bonuszahlung anteilig rechtens? Arbeitgeber im Fokus 👆